'Apollo 13', Saving Private Ryan', Cast Away': Tom Hanks‘ Erfolgsfilme von vor rund 15 Jahren waren immer auch Entwürfe dessen, was es heißt, westlich-amerikanisch zu sein. Im Bild des mit Haut, Haar und allen Sinnen unter Sterne, Stranddünen und Sperrfeuer geworfenen Hanks hieß das: eine Identität zu haben, und zwar insbesonders deshalb, weil man eine schmerzliche Geschichte voller Erfahrungen des Scheiterns und Verlusts hat, aus denen gerade noch das nackte Leben gerettet werden konnte. Survivor zu sein, das schien sinnreicher als gleich völlig ich- und geschichtslos in die verheißungsvolle Zukunft der Globalisierung/Digitalisierung/Finanziarisierung (Weltmarktwerdung der Welt) einzutreten.
Das war die Stunde des Hollywood-Blockbusterkinos in seiner – oder zumindest einer – goldenen Ära: Zugleich mit dem Abschied von traditionellen, patriarchal-heroischen Modellen der Handlungsmächtigkeit vermittelte es einen Realismus des schier Gespürten und nobilitierte so im Zeichen des Traumas (mehr oder minder) nahe, vorzugsweise zeitgeschichtliche Vergangenheiten: das space race, der Zweite Weltkrieg oder auch, in diesem Fall ohne Tom Hanks, das Malheur mit diesem Transatlantikschiff. Und das Trauma, so schien es, barg in sich den Schlüssel zum Triumph.
Mit Hanks in alter Größe und einem Titel, dem nur das „Saving' im Auftakt fehlt, knüpft „Captain Phillips' an diese Tradition an, ohne in ihrer Fortführung aufzugehen. Basierend auf einem Pirateriefall von 2009 geht es um die bangen Stunden, die der US-Titelheld nach Kaperung seines Frachters vor Somalia als Geisel lokaler Kidnapper durchleidet, bevor Navy SEALS ihn retten. Auf Landungsboot, Floß und Raumkapsel aus den 1990er Hanks-Hits folgt hier das Rettungs(kapsel)boot, das im Zentrum des Showdown steht bzw. in Richtung Piratenstrand dahintreibt.
Nun ist aber die Welt von heute, im Unterschied zu jener der späten 1990er, so gründlich globalisiert wie die sogenannte 'Krise', in die das Kapital sie gestürzt hat. Also verlagert sich der Schwerpunkt des Hanks‘schen Identitätenbauens vom Trauma als intimem Schatz, der universalisierbar ist (man kannte das dann etwa auch aus Guido Knopps Geschichtsfernsehen: Traumatisiert sind wir doch, bitteschön, alle …), hin zu etwas, das ostentativ geteilt ist, und das scheint hier eine Art radikaler, existenzieller Verunsicherungs-, gar Prekaritätserfahrung zu sein. Also werden Analogien herausgestellt.
In dieser wild wechselnden Zeit müssen unsere Kids hart sein, damit sie nicht untergehen, parliert eingangs Herr zu Frau Philipps; seine Worte sollen hier umso lebenswahrer klingen, je mehr sie als kleinbürgerliches No-na-Statement im Zustand totaler Verstricktheit formuliert und phrasiert sind. (Herrlich, dieses hochtönige Knarren in Hanksens Stimme!) Und umso wahrer schließlich auch, weil ja alsbald junge Somalis antreten, den Captain ebendies spüren zu lassen, nämlich wie hart Kids, eben auch diese Kidnapperkids, sein können, wenn sie nicht untergehen wollen und unterm Druck allgemeinmenschlicher Konkurrenz ihr Geschäft ausüben wollen. 'We all got bosses', sagt der Captain im spannenden Psychoduell zum Entführer, der sich die Autorität eines Kapitäns anzumaßen versucht, etwa indem er seinerseits behauptet, er sei Businessmann. Die Inszenierung vergleicht die überlasteten Schiffsmotoren (Frachtertriebwerk versus Piratenbootaußenbordmotor) miteinander oder lässt die Alphamänner des Films einander per Fernglas Aug in Aug sehen.
Auf beiden Seiten, beim Captain und seiner Crew, bei den Piraten und ihrem Low-Level-Anführer vor Ort, herrschen Angst und Not, Ganzkörpereinsatz mit reichlich Schweiß(fleck), bis hin zum Pinkelnmüssen als Fluchtversuchsvorwand – da ist er wieder, Tom Hanks bei einer Routinetätigkeit in seinen klassischen Rollen – und Aufbietung von Improvisationsfähigkeit: Die einen kommen mit Kalaschnikows aber dafür zum Teil barfuß, die anderen wehren sich zunächst mit Feuerlöschschläuchen, Leuchtraketen und Glasscherben.
Paul Greengrass (prominent geworden als Regisseur des zweiten und dritten Bourne-Films) variiert die Faktendemut und das Ohnmachtspathos seines 9/11-Flugzeugentführungsreißers 'United 93': Bild und Stimmen zittern, alles erscheint in schmutzigblassen Farbtönen, auch in der Kommandozentrale der US Navy herrscht eine Zeit lang Überforderung und selten Heldenpose. Irgendwie sind offenbar auch in 'Captain Phillips' alle Opfer.
Wenn aber ein Film so sehr mit dem 'Absaufen' aller Heroik in einer eigendynamischen und zunehmend verfahrenen Situation kokettiert, dann zählt umso mehr, was an Unterschied bleibt. Das war schon in 'United 93' so, wo – bei allem Herumreiten auf allseitiger Geworfenheit und Verwirrtheit – zunehmend ein Kontrast zwischen dem Fatalismus der islamistischen Kidnapper/Attentäter und der Handlungsentschlossenheit und -kraft seitens westlich-amerikanischer Flugzeugpassagiere markiert wurde. Auch in 'Captain Phillips' fragt sich: Wer ist noch handlungsfähig? Und: Wer weiß? Nun, weiß ist der Captain, fast seine gesamte Crew und fast jeder seiner uniformierten Retter; alle Piraten hingegen sind 'Schwarzafrikaner', wie man in Schengistan so sagt. Ja, aber so war das halt, bitteschön, und wenn das so war und alle Bedrohlichkeit in diesem Drama dunklen Teint hatte, dann muss man es halt auch so zeigen. Ideologie? Wir nie!
Alles beruht auf Fakten. Und die gebieten Demut – sei es in Form des Anblicks von Hanks als Leidensikone (und wie der am Ende leidet! Schade, dass er für einen neuen Jesus-Kreuzigungsfilm schon ein bissl zu alt und speckig ist); sei es in der Schmucklosigkeit, die die Inszenierung hier fast schon wieder zum Kitsch erhebt; sei es schließlich (auf Kathryn Bigelows Spuren wandelnd) im trockenen Habitus des Präzisionshandwerks seitens jener, die im Nachtsichtfadenkreuz Ziele ausschalten. Harte Zeit braucht sichere Hand (und wackeln tun eh schon die Kamera und das Boot).