In vielen Filmen des französischen Meisterregisseurs Alain Resnais ist nichts real, alles ist Kunst und führt doch zurück zum Leben. Zwar werden eingangs seines neuen Films „Ihr werdet euch noch wundern“ („Vous n’avez encore rien vu') diverse französische Filmschauspieler – und zwar insgesamt dreizehn! – unter ihren richtigen Namen angerufen und damit nebenbei auch vorgestellt, doch darin liegt zugleich Symbolkraft: Der Klang von Namen wie Pierre Arditi, Sabine Azéma, Mathieu Amalric, Lambert Wilson, Anne Consigny oder auch Michel Piccoli umgibt selbst eine mythische Aura. In ihnen ist Filmgeschichte, sind Erinnerungen an Filmfiguren und Kinoerlebnisse gespeichert. Wenn dann auch noch ein Toter die Leinwandhelden zu sich nach Hause einlädt, dieses architektonisch ungewöhnliche Domizil auf einer Bergkuppe in der südfranzösischen Provinz thront und bald nach der Ankunft der Gäste die üblichen Koordinaten von Raum und Zeit außer Kraft gesetzt sind, dann befindet sich der Zuschauer im filmischen Universum Resnais‘, für das gilt: Nichts ist unmöglich.
Sogleich richtet sich der verstorbene Theaterregisseur Antoine d’Anthac (Denis Podalydès), der nach der Trennung von einer sehr viel jüngeren Frau zuletzt sehr abgeschottet gelebt hat, in einer Videobotschaft an die versammelten Schauspielerfreunde. Über viele Jahre hinweg haben diese Freunde Rollen in seiner „Euridyce“ gespielt, weshalb er sie jetzt bittet, die Inszenierung des Stücks durch eine junge Theatergruppe namens „Compagnie de la Colombe“ zu begutachten und diese gegebenenfalls zur Aufführung freizugeben. Kurz darauf sehen sich die renommierten Mimen mit der filmischen Aufzeichnung dieser Arbeit konfrontiert und beginnen in Erinnerung an die früher selbst einmal gespielten Rollen, in diese hineinzuschlüpfen und in ihnen gewissermaßen zu leben. Bald verwischen die Grenzen zwischen Film, Theater und Film-im-Film und die verschiedenen Fiktionen fließen munter ineinander. Dabei bedient sich Alain Resnais erzählerisch der Reihung und Spiegelung, der Verdoppelung und der Variation. Währen die Imaginationen der Schauspieler auf Mimesis zielen, arbeitet seine Inszenierung gegen die Illusion.
Zwei Stücke von Jean Anouilh, „Cher Antoine oder Die verfehlte Liebe“ und „Eurydike“, dienen ihm dabei als Inspirationsquelle und Textgrundlage. Wobei vor allem die unsterbliche Liebesgeschichte zwischen Orphée und Eurydice, die hier gleich doppelt und dreifach besetzt ist, Spiel und Handlung bestimmt. Diese führt bekanntlich ins „Land der Phantome“, über das keine Auskünfte erlaubt sind. Und wie die Heldin Eurydice, so kehrt auch Antoine d’Anthac für kurze Zeit ins Leben zurück. Er habe sich eben ihrer Liebe versichern wollen, gesteht er seinen befreundeten Schauspielern. Sein „Sinn für Inszenierungen“ und „unerwartete Wendungen“ sowie seine „Schwäche für Effekte“ sei ihnen ja hinlänglich bekannt. Natürlich könnten diese Sätze auch von dem mittlerweile 91-jährigen Alain Resnais stammen. Tatsächlich aber sagt dieser: „Schließlich sind wir hier doch beim Film! Und da macht es eben Spaß, Dinge zu tun, die im Theater nicht möglich wären.“