„Die Realität von heute ist dazu bestimmt, Ihnen morgen als Illusion zu erscheinen“, lautet ein Zitat aus Luigi Pirandellos Drama „Sechs Personen suchen einen Autor“, das Radley Metzger seinem 1970 entstandenen Film „The Lickerish Quartet“ („Das lüsterne Quartett“) als Motto vorangestellt hat. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Metzgers künstlerisch ambitionierter Erotikfilm durch seine Film-im-Film-Struktur und den damit verbundenen Austausch unterschiedlicher Fiktionalisierungsgrade unentwegt und dabei theoretisch komplex. Auf der Realitäts- bzw. Erzählebene des Films „The Lickerish Quartet“ betrachtet eine aristokratische Kleinfamilie, bestehend aus Vater, Mutter und erwachsenem Sohn, im geräumigen Wohnzimmer eines alten, herrschaftlichen Schlosses einen Amateursexfilm. Während dieser in Schwarzweiß projiziert wird, wechselt die Montage fortwährend zwischen dem Gegenstand und seinen Betrachtern, die sich in Spekulationen und Streitereien über den Realitätsgehalt des Dargestellten ergehen.
Einmal wird der Sexfilm, in dem sich zwei Paare miteinander vergnügen, ironisch als „moderne Studie zum Realismus“ apostrophiert. Ein anderes Mal kontert der Vater (Frank Wolff) die moralischen Einwände seines Sohnes (Paolo Turco), indem er einerseits auf den Illusionscharakter des Gesehenen hinweist, andererseits dessen subjektive Konstruktion akzentuiert: „Weißt du, Geschmacklosigkeit liegt im Auge des Betrachters.“ Wird also die Filmwirklichkeit maßgeblich von den Wunschvorstellungen der Zuschauer moduliert? Die Echtheit des Gezeigten ist in „The Lickerish Quartet“ jedenfalls brüchig und wird in der Folge zudem vielfach gebrochen. Im ausführlichen Audiokommentar, in dem Radley Metzger für seinen kunstvoll komponierten, stilistisch brillanten Film die alternativen Titel „Gedankenspiel“ (sic!) und „Dreamplay“ anführt, sagt der Regisseur im Gespräch mit dem Filmhistoriker Michael Bowen, er reflektiere mit dieser Arbeit vor allem „die Impermanenz des Films“ bzw. die Unbeständigkeit des Zelluloids.
Was Metzger damit meint, zeigt der Film im Hauptteil, wenn die Familie bei der Motorradfahrer-Stuntshow auf einem Jahrmarkt die mutmaßliche Hauptdarstellerin (Silvana Venturelli) kennenlernt und sie zu sich ins Schloss einlädt, um sie mit dem Film zu konfrontieren. Aber dessen Bilder sind nicht mehr dieselben. Trügen lediglich die Erinnerungen der Betrachter (und des Publikums) oder handelt es sich bei dem Film um eine sich wandelnde Projektionsfläche für die Wünsche und das Begehren der Zuschauer? Auf der fiktionalen Handlungsebene von „The Lickerish Quartet“ haben die Familienmitglieder, einschließlich der Mutter (Erika Remberg), jedenfalls nacheinander Sex mit der schönen Fremden, die zwischen Phantasiefigur und Phantom changiert und durch ihre sexuelle Hingabe heilend, ja versöhnend wirkt.
In einem anderen Sinn ähnelt sie damit dem mysteriösen Gast in Pasolinis „Teorema“. Mit kurzen Flashs in die Vergangenheit bearbeitet Metzger jedoch primär die persönlichen Konflikte der Figuren im Spiegel des Begehrens. Die filmtheoretischen Implikationen dieses medialen Verwirrspiels spitzt er schließlich noch zu, indem er die Darsteller der beiden Filme die Rollen tauschen lässt und damit die Illusion mit der Wirklichkeit gleichsetzt.