Im Wien des Jahres 1925 spricht der junge Wilhelm Reich vor Psychoanalytikern, unter denen sich auch sein Lehrer Sigmund Freud befindet, über die Funktion des Orgasmus und stößt dabei auf offene Ablehnung. Während die Kamera das Halbrund des Hörsaals nachzeichnet und damit die Reaktionen der Zuhörerschaft – alles Herren in weißen Kitteln – übermittelt, hören wir die Stimme des Reich-Darstellers Klaus Maria Brandauer aus dem Off. Diese klingt zurückhaltend, wenig bewegt, fast ausdruckslos. Im Prolog von Antonin Svobodas Film „Der Fall Wilhelm Reich“ tendiert das konkrete Setting zur Abstraktion und der genau datierte Anlass sucht das Beispielhafte. Das Biopic des österreichischen Regisseurs, der zuvor unter dem Titel „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“ schon eine TV-Dokumentation über den umstrittenen Psychiater realisiert hat, besitzt unverkennbar einen Hang zur trockenen Sachlichkeit, die mitunter leider auch etwas blutleer wirkt. Dazu kommt noch, dass trotz des dokumentarischen Zugriffs vieles inhaltlich vage und nur angedeutet bleibt.
Dabei sucht Svoboda auf der wissenschaftlichen respektive ideologischen Ebene durchaus den harten Kontrast, um nicht zu sagen, die plakative Polemik. Über einen Zeitraum von dreißig Jahren, die in punktuellen Zeitsprüngen und Ortswechseln als verschachtelte Erzählung wiedergegeben werden, entfaltet der Film Reichs ganzheitliches Denken, die Prinzipien seiner Orgon-Therapie und seine Experimente mit dem sogenannten Cloudbuster. Dabei zeichnet er den als „Sexguru“, „Wunderheiler“ und „Scharlatan“ verschrieenen Forscher, der vor den Nazis fliehen musste und Mitte der fünfziger Jahre vor ein amerikanisches Gericht gezerrt wird, weniger als rebellischen Provokateur denn als liebenden Vater, klugen Wissenschaftler und zurückhaltenden Aufklärer. In seiner therapeutischen Arbeit will dieser das Fließen der als Orgon bezeichneten Lebensenergie verbessern, um Blockaden zu lösen, zu den „ungepanzerten Empfindungen“ durchzudringen und damit die Selbstheilungskräfte zu aktivieren.
Als selbstbewusster, unabhängiger Geist, dessen Wahlspruch „It can be done“ lautet, ist Reich allerdings vielfältigen Vorurteilen und Anfeindungen ausgesetzt, aber auch wissenschaftlichen Zurückweisungen, die er produktiv zu nutzen versucht. In einer Parallelhandlung zeigt Antonin Svoboda die menschenverachtenden Experimente seines Gegenspielers Dr. Cameron (Gary Lewis), der mit fragwürdigen Methoden an einem noch fragwürdigeren Konzept der Bewusstseinskotrolle arbeitet. Zur Folter ist es hier nicht mehr weit. Weitere politische Implikationen finden sich aber auch in Wilhelm Reichs kritischer Opposition zu den atomaren Tests der USA und den damit verbundenen Gefahren. So entsteht das Portrait eines visionären Humanisten, dessen mahnende Stimme und alternative Forschungen aus gesellschaftpolitischen Gründen systematisch unterdrückt wurden.