Von den vier Regisseuren im heutigen Mainstreamspielfilmbetrieb, die mit Nachnamen Anderson heißen (und nicht verwandt sind: Paul Thomas, Paul W.S., Wes und Brad), ist Brad Anderson der durchgängig dem düsteren Spannungskino zugeneigte. In seltsamen Thrillern wie 'The Machinist', 'Transsiberian' oder 'Herrschaft der Schatten' hatte er immer wieder Situationen der Beengung und des Lichtmangels ausgekostet; 'The Call – Leg nicht auf' handelt nun von einer Entführten, die über zwei Drittel des Films in Autokofferräume gesperrt ist. Von dort aus sendet das Mädchen Hilfssignale, vor allem aber hält sie Handykontakt mit einer engagierten Telefonistin der Polizeinotrufzentrale (Halle Berry). Die im Zusprechen von Trost und Hoffnung versierte Ordnungshüterin ist von ihrer Ohnmachtserfahrung in einem früheren, ähnlichen Fall traumatisiert, hat nun quasi etwas gutzumachen.
Auch der Kidnapper ist ein seelisch Leidender, der etwas gutmachen will: Er bastelt am Rekonstruieren eines Idealbilds seiner verlorenen kleinen Schwester (mithin an einem morbiden Idyll von Whiteness samt Girliekitschaltar); in seinem Autoradio läuft 1980er-Synthiepop (Tacos Version von 'Puttin´ on the Ritz', im doppelten Sinn eine Erinnerung an glamouröse Zeiten, die dahin sind); später im Verlies, wenn er der Entführten als fetischistischer Friseur zu Leibe rückt, legt er eine eiernde Cassette mit Culture Clubs 'Karma Chameleon' ein. Aha, da ist wohl jemand ein kränkelndes Chamäleon, das sich anverwandeln will, und offenbar auch nicht ganz straight als Mann, was der Film unguter Weise als ungut zu verstehen gibt.
Sowohl täter- als auch polizistinnenseitig erinnert da einiges ans 'Schweigen der Lämmer', ohne je dessen Level an Spannung und Sozialdiagnostik zu erreichen. Und der feministische Aspekt dieses neuzeitlichen Thrillerklassikers, die gendermäßig prekäre Verortung der Ermittlerin in ihrem Milieu, ist hier ersetzt durch einerseits die Problematik des unzureichenden Distanzhandelns am Telefon, das nach Eingriff vor Ort ruft, und anderseits eine merkliche Aufgehobenheit der Heldin in ihrem Arbeitsalltag, die ethnisch konturiert ist (woraus wir hier gleich eine Deutungskonsequenz ziehen werden). Aber immerhin: Andersons nicht allzu langer Film bietet einiges an Suspense mit ahnungslosen Zeugen, die dem Entführer auf seiner Fahrt begegnen, und recht originelle Ideen in Sachen Dramatik und Pragmatik im Kofferraum (an sich kein typischer 'Handlungs- und Kommunikationsort' für einen Genrespielfilm). Insofern verdient der Regisseur eine Chance, allerdings vielleicht eher eine Art zweite Chance, einzulösen erst – und hoffentlich – mit seinem nächsten Film.
Einlösen einer zweiten Chance: Das schwingt als Sinnbild prominent mit in diesem Hollywoodfilm zum Thema des 'Rufs', der reich ist an vom Drehbuch als mehrdeutig definierten Objekten. Mehr noch als unlängst Spielbergs Lincoln' ist ,'The Call' ein Film zum Beginn von Obamas zweiter Amtszeit. Wie beim US-Präsidenten geht es hier auch für Halle Berry – eine Art First Lady im Sinn einer Black American Firstness und Leadership, als erste Schwarze Gewinnerin eines Oscar als Leading Actress (2002), notorisch für das Pathos ihrer Dankesrede – in ihrem War Room-artigen Kontrollzentrum und im Kreise anderer Uniformträger, von denen auffallend viele African Americans sind, darum, dass eine starke Ansage nicht bloße Rede bleiben soll. Auch bei der Ordnungshüterin mit den großen Worten und den (berufsgemäß) 'großen Ohren' unter der landläufig als Afro bezeichneten Schneckerlfrisur bedeutet die zweite Chance, dass ein mit rhetorischem Geschick (oder bloßer rhetorischer Routine?) formuliertes Schutz- und Hilfsversprechen diesmal nicht wieder gebrochen werden soll.
Die Ohnmachtserfahrung im moralischen Ausgangspunkt und ein Fahnenmast mit den Stars and Stripes, der im investigativen Plot wie auch in der Inszenierung eines rächenden Endlich-tätig-Werdens eine Doppelrolle spielt, als Signalgeber auf der Aufzeichnung eines Telefonats mit dem Täter wie auch als unverhohlene Ikone der Ermächtigung und unbedingten Rechtschaffenheit: Dies lässt die Entfesselung von hochgerüsteter Rasterfahndung und multimedialer Dauerüberwachung als ersehnte Rettung und unhinterfragbares Allheilmittel erscheinen. Und es legitimiert noch die finale rape-revenge movie-hafte Selbstjustizgeste, kraft derer der Entführer in seinem eigenen Verlies eingeschlossen und offenbar dem Verhungern preisgegeben wird. Naja. Als US-Staatsmacht ohne rechtliche Grundlage Telefonate überwachen oder Leute ohne Gerichtsurteil bis zum Sanktnimmerleinstag einsperren – das ist natürlich nicht OK, aber auch eher etwas weit hergeholt.