Der Film beginnt wie noch keiner von Terrence Malick zuvor: Mit verwackelten Videobildern. Ein Paar filmt sich und Andere(s) während einer Zugfahrt, in einem Museum, im nächtlichen Paris. Die Aufnahmen sind das Souvenir einer jungen Liebe am schon beinahe überreizten Höhepunkt ihres Bestehens. Die Frau, Marina (Olga Kurylenko), spricht französisch aus dem Off; der Mann, Neil (Ben Affleck), ist ein stiller Amerikaner. Sie sagt Dinge, die Texten mittelalterlicher Mystikerinnen entnommen sein könnten: Vom Neugeborensein, vom schmelzenden Vergehen, vom Sturz in die Flamme, von der ewigen Nacht. Das Material wechselt auf lichtgleißende Malick-Filmbilder und das Paar verlässt Paris im Auto. Am Mont-Saint-Michel vor der normannischen Küste steigt es – wir hören das „Parsifal“-Vorspiel – die Stufen zum Kloster hinauf: „à la merveille“, „to the wonder“.
Spätestens seit „The Tree of Life“ im vorvergangenen Jahr hat der wohl noch immer geheimnisvollste und zurückgezogenste „Starregisseur“ des amerikanischen Kinos die Gemüter relativ trennscharf in zwei Lager gespalten: Das ländliche Leben einer amerikanischen Kleinfamilie wurde zur Folie, vor der – im wahrsten Sinne – die Himmel sich teilten, Sterne geboren wurden und starben, Galaxien aufleuchteten und für immer vergingen. Dazwischen rangen die Irdischen in flehentlichen Gebeten mit dem oft so wenig „lieben Vater überm Sternenzelt“, der, wie schon beim unseligen Hiob, nicht anders antworten wollte, als in Licht und Donner seine Herrlichkeit zu erweisen: „Wo warst du, als ich den Himmel und die Sterne machte?“ Als manche bei all dem gottesdienstlichen Himmelsstreben vor lauter Weihrauch die Leinwand nicht mehr sehen konnten, feierten andere frenetisch einen im besten Sinne hoffnungslos überambitionierten Filmemacher: Als habe hier einer filmisch versucht, über den „Umweg“ der amerikanischen Romantik die „reale“ Natur wieder in die Tradition des deutschen Idealismus (aus der Heidegger-Übersetzer Malick noch am ehesten stammt) zurückzuholen. Die einen sahen ein Meisterwerk, die anderen kreationistischen Kitsch.
Mit „To the Wonder“ scheint die Situation im Moment zugunsten der Kritiker gekippt zu sein. Allzu abgestanden erscheinen die Bilder aus dem Pariser Idyll, allzu ausgelassen tanzt Marina über die Weideflächen Oklahomas nach der Übersiedlung des Paares in die USA und allzu wenig scheinen die wenigen Figuren „tief“ und die Konflikte, die sie um (spirituelles) Heimweh und gegenseitige Entfremdung austragen, „entwickelt“ zu sein. Zum Teil ist das richtig. Andererseits jedoch scheint dahinter auch die Irritation über einen unter der perlmuttglänzenden Oberfläche austernhaft verschlossenen Film zu stehen, der passagenweise fast besser in die „black boxes“ einer Ausstellung als ein reguläres Kino passen würde. Nicht zuletzt ist da womöglich auch die nicht allein angenehme Einsicht, dass es sich hierbei wahrscheinlich um Malicks pessimistischsten (und durchaus: „unfeierlichsten“) Film seit „Badlands“ handelt.
Dabei knöpft „To the Wonder“ zunächst in vielfacher Hinsicht an „The Tree of Life“ an: Der Vorgängerfilm hatte seine stärksten, frappierend rührenden Momente in den regelrecht mikroskopisch aufgezeichneten, physischen Fundamenten des familiären Mitseins: Im Spiel des Vaters mit den Füßen des Kindes, im Erheben der Hand gegen den Sohn oder dem wundersamen Blick eines Zweijährigen auf ein Neugeborenes. Auch „To the Wonder“ ist in diesem Sinne ein Berührungs- und Körperfilm von immenser Sanftheit, fast mehr jedoch noch eine Bewegungsstudie über Leiber im und gegen den Raum. Marinas Figur erscheint dabei auf seltsame Art als ständig schwindend, stets im Vorauseilen begriffen, ist aber in der physischen Konfrontation intensiver, fordernder als der ungleich mühevoller seine Schritte setzende Neil. Sie erhofft zu Beginn, „wenigstens einen Stück des Weges gemeinsam zu gehen“ – die mystische Verschwendung ihres Wesens vom Anfang indes findet keine Resonanz im so amerikanisch-warmen „My sweet love“, das Neil ihr (oder uns) bei der gemeinsamen Ankunft in seiner Heimat entgegenspricht. Die Ornamentik der Pariser Häuserfassaden erzählt eine andere Geschichte als die strenge Funktionalität der Farmen Oklahomas. Hier imitieren Springbrunnen eine Natur, die es nie gab, dort macht der stete Gleichtakt der großen Bohranlagen das Land zu Geld. Malicks neuer Film ereignet sich nahezu ausschließlich auf dieser Ebene beinahe unspürbarer Nuancen und lässt doch allerorten, man möchte sagen: subkutan, einen traurigen Wahrheitskern der Liebe erahnen: Wo Horizontverschmelzung ausgeschlossen bleiben muss, wird Verstehen zu einer Frage der Übersetzbarkeit. Das ist nicht allein eine Angelegenheit der gesprochenen Sprache: Einmal sehen wir, wie Marina und Neil sich spielend gegenseitig die Gesichter mit einem Tuch verdecken. Das Motiv der Verfremdung und Wieder-Entdeckung des anderen Körpers kehrt symbolisch für die ungezählten Anläufe der gegenseitigen Bezugnahme mehrfach wieder.
Mit deren zunehmendem Scheitern zerbricht die Beziehung des Paars. Marina geht zurück nach Frankreich, wird jedoch von Heimweh und Sehnsucht überwältigt und kehrt nach kurzer Zeit um. Die Tochter, die sie in die Beziehung zu Neil mitgebracht hatte, lässt sie beim Vater in Paris. Neil hat in der Zwischenzeit eine Affäre mit einer Jugendliebe (Rachel McAdams) neu aufleben lassen, kann sich aber nicht dauerhaft für sie entscheiden. Als Marina zurückkehrt und die mittlerweile mit Neil geschlossene Ehe erneut in krisenhafte Bahnen gerät, schläft sie mit einem Fremden in einem Motelzimmer. Sie ertastet ihn, fühlt die Fremdheit und was sie bedeutet. Neil wankt, als er davon erfährt, doch er vergibt ihr. Wie ein Exeget des Alltags schleppt sich leichenblass der Ortspfarrer (Javier Bardem) durch die Szenen und erklärt, fast wie zum Spott, es seien vor allem die Zauderer gewesen, für die Jesus das kleinste Verständnis habe aufbringen können: Wer entscheidet, mag sündigen, doch wer zögert und zurückweicht, hat es schon. Entsprechend hämmert er seinen selbst längst verlorenen Glauben mit einigem Trotz in die Köpfe der Gläubigen und salbt hingebungsvoll die Armen und Kranken, die fast wie Interviewpartner aus einem ganz anderen Film vor Malicks Kamera treten. „Man muss lieben“, sagt er. Was könnte er auch sonst noch sagen? Einmal drückt er seine Hand gegen die bemalten Fenster der Kirche. Das Licht, das hindurch fällt, scheint ihm unendlich weit weg. Dem Himmel so fern, bleiben noch die Rituale, die Gebete, die immer neue Beschwörung, das Ausharren. Neil und Marina harren nicht länger aus, sie trennen sich. Wie eine Klammer schließt sich das Bild des Klosters auf dem Mont-Saint-Michel am Ende um den Film: Auf schroffen Stein und täglich überfluteten Sand gebaut, mag es, unsigniert und überzeitlich, vielleicht ein Trost, gar eine Hoffnung sein. „La merveille“, das Wunder aber, es bleibt den Liebenden versagt.