Imposante Aufnahmen von New York, seinen Wolkenkratzern und Straßenschluchten, an deren Enden das Blau des Ozeans funkelt, rahmen Michael Trabitzschs filmisches Künstlerportrait „Max Beckmann – Departure“. Eine zweite Klammer setzt Beckmanns titelgebendes Triptychon „Abfahrt“, das in den Jahren 1932 – 1935 als Nr. 1 von insgesamt neun Triptychen entstand und im Museum of Modern Art ausgestellt ist. Seine Seitenteile zeigen auf schauerliche Weise den gequälten, geschundenen Menschen. In einer Selbstinterpretation des 1884 geborenen Künstlers, zitiert aus dem Off, heißt es dazu: „Das Leben ist Marter, Schmerz jeglicher Art.“ Dagegen evoziert die mittlere Tafel dieses bedrückenden Infernos das Paradies und die Möglichkeit der Erlösung: „Die Königin trägt den größten Schatz, die Freiheit, als ihr Kind auf dem Schoß. Die Freiheit ist das, worauf es ankommt. Sie ist die Abfahrt, der neue Beginn.“
In diesem Spannungsfeld zwischen Bedrängnis und Aufbruch, mythologischem Erbe und der dringenden Suche nach Transzendenz bewegen sich Leben und Werk dieses so vitalen Menschen und äußerst selbstbewussten Schöpfers. Als gegenständlicher Maler, der gegen den künstlerischen Zeitgeist die „raumtiefe“, figurative Malerei verteidigt, will er „durch die Realität“ „das Unsichtbare sichtbar machen“. Dabei verbindet er immer wieder den Alltag mit dem Mythos, um durch die „Gestaltung“ zur „Erlösung“ zu gelangen. „Meine Bilder sind radiumhaltige Kraftkomplexe“, notiert er in einem der Briefe, die in Trabitzschs Dokumentarfilm als Selbstzeugnisse eine starke, subjektive Stimme bilden. Diese wiederum steht in Beziehung zu den Interpretationen von Kunsthistorikern und Museumsleitern, die vor Beckmanns Bildern in einen – filmisch mitunter allzu forcierten – Dialog treten. Gewöhnungsbedürftige Profil-Aufnahmen vor halbdunklem Hintergrund, abrupte Perspektivwechsel auf die Sprecher sowie die Selbstinszenierung des Filmteams sorgen hier eher für Irritationen und Ablenkung denn für Einsichten und Konzentration.
Trotzdem zählt die Auseinandersetzung mit den Bildern zu den Stärken des Films. Ergänzt durch Zitate Beckmanns, historische Filmdokumente und einen emotional leicht einlullenden Soundtrack entsteht so eine thematisch verdichtete Passage durch das Leben und Werk dieses herausragenden Malers. Zu den gravierendsten Einschnitten seiner Vita gehören dabei die Erfahrungen der beiden Weltkriege, die Beckmann 1914 als freiwilliger Krankenpfleger und später, während der NS-Diktatur, im Amsterdamer Exil erlebt. Der Mensch als Marionette der Götter wird in seinen Zirkus- und Theaterbildern zum wiederkehrenden Motiv. Dagegen setzt Beckmann seine Kunst als einen Akt individueller Selbstbestimmung, deren Kraft sich möglichst auch auf den Betrachter übertragen soll und deren Antrieb die Suche nach einer höheren Wahrheit ist. In seinem letzten, kurz vor seinem Tod im Jahre 1950 vollendeten Triptychon „Die Argonauten“ verbindet sich diese Hoffnung in motivischen Anklängen an sein erstes Werk „Junge Männer am Meer“ von 1905. Und so schließt sich in mehrfacher Hinsicht ein Kreis.