2009 hatte der Däne Niels Arden Oplev mit der Stieg-Larsson-Verfilmung „Verblendung“ einen weltweiten Erfolg gelandet. Nur zwei Jahre später kam mit David Finchers hierzulande ebenfalls „Verblendung“ betitelter Neuinterpretation die zu erwartende Hollywoodversion des Stoffs in die Kinos. Der anfängliche Ärger der Europäer über eine weitere Vereinnahmung eines hiesigen Stoffs durch die kalifornische Traumfabrik wich schnell der dominierenden Feststellung, dass Finchers Fassung zumindest auf visueller Ebene der von Oplev weit überlegen sei. Auch die herausragende Leistung von Noomi Rapace in der Rolle von Lisbeth Salander schien auf einmal im Schatten der vermeintlich noch weit charismatischeren Rooney Mara zu stehen. Trotzdem brachte genau diese Rolle für Rapace den internationalen Durchbruch und seither war die Schwedin bereits in Filmen wie Ridley Scotts „Prometheus“ zu sehen. Nur um Niels Arden Oplev schien es in der Zwischenzeit merkwürdig ruhig geworden zu sein. Tatsächlich arbeitete Oplev nach „Verblendung“ zunächst nur als Regisseur für das dänische Fernsehen. Dabei wurde er nach „Verblendung“ von Angeboten aus Hollywood geradezu überschüttet. Doch anstatt gleich die erstbeste Gelegenheit wahrzunehmen, las sich der Däne durch über 250 Drehbücher, bis er schließlich eines fand, dass ihm der Umsetzung würdig schien. Hierbei handelte es sich um J.H. Wymans Skript zu dem Thrillerdrama „Dead Man Down“.
Der New Yorker Unterweltboss Alphonse (Terrence Howard) hat ein Problem. Ein Killer dezimiert aus unbekannten Gründen die Männer seiner Organisation. Die letzte Leiche wurde in einem Eisschrank von einem Paketdienst zugestellt. Erneut ist sie mit einem Fotoschnipsel und einer geheimnisvollen Botschaft versehen. Doch Alphonse meint jetzt zu begreifen, wer hinter der Sache steckt. Er startet eine blutige Racheaktion, bei der ihm sein neuer Mann Victor (Colin Farrel) das Leben rettet. Victor lebt alleine in einem Appartement am Rande der Stadt. Im gegenüberliegenden Haus wohnt die Französin Beatrice (Noomi Rapace) zusammen mit ihrer schwerhörigen Mutter (Isabelle Huppert). Beatrice beobachtet Victor und winkt ihm eines Abends schüchtern von ihrem Balkon aus zu. Kurz darauf schlägt die schöne, jedoch aufgrund eines Autounfalls im Gesicht mit Narben übersäte, Frau Victor vor, gemeinsam auszugehen. In einem Restaurant kommt es zu zaghaften Annäherungsversuchen der beiden in sich verschlossenen Charaktere. Doch plötzlich stellt Beatrice klar, dass sie auch ein konkretes Anliegen hat. Victor soll für sie den Mann umbringen, der sie betrunken angefahren hat und somit für ihre Entstellungen verantwortlich ist. Als Druckmittel dient ihr eine per Handy gemachte Aufnahme eines Mordes, den Victor in seiner Wohnung begangen hat. Aber auch Victor hat einen persönlichen Racheplan, den er um jeden Preis bis zum Ende ausführen will.
Bereits die Eröffnungsszene aus „Dead Man Down“ zeigt unmissverständlich, dass dieser Film sich nicht scheut, an Grenzen zu gehen. Victors bester Freund Darcy (Dominic Cooper) spricht mit einem Baby im Arm über seine späte Erkenntnis, dass menschliche Verbindungen das Wichtigste im Leben seien. Dann steigen die beiden schwerbewaffnet aus ihrem Wagen aus und schließen sich der Gruppe ihres Bosses Alphonse an. Der macht sich daran, den vermeintlichen Auftraggeber des geheimnisvollen Killers zur Rede zu stellen. Eine zunächst ruhige Befragung mündet plötzlich im unerbittlichen Kugelhagel, bei dem es nur auf einer Seite Überlebende gibt. Der extreme Kontrast zwischen an reinen Kitsch grenzender Gefühlsbetontheit und abrupter, harter Gewalt verblüfft. Im Gegensatz zu Filmen wie denen von Quentin Tarantino fehlt hier jede ironische Brechung. Dieser fast ans Absurde grenzende Auftakt ist vollkommen ernst gemeint. Verblüffend ist, dass diese oftmals krude Mischung aus Drama und Action, aus Liebesgeschichte und Rachethriller, außerordentlich gut funktioniert. Sechs Jahre hat Wyman an dem Skript gefeilt und dieser Einsatz macht sich im vorliegenden Ergebnis durchaus bemerkbar. Dem Autor gelingt das Kunststück, innerhalb bekannter Konventionen zu arbeiten, diese jedoch immer ein wenig zu verschieben. Alle Charaktere sind eine kleine Spur anders als ihre zahllosen allseits bekannten Vorgänger. Auch die Dialoge sind deutlich authentischer als in vergleichbaren amerikanischen Genreproduktionen. Als Beatrice und Victor sich zu ihrem vermeintlichen ersten Rendevouz treffen, ist ihre Sprachlosigkeit ein wahrhafter Ausdruck ihrer introvertierten Persönlichkeiten und von einer Eindringlichkeit, die ihren tiefsitzenden Schmerz offenbart.
Trotz der durchgängig hervorragenden Darstellerleistungen ist Terrence Howard als Mafiaboss Alfonse eine besonders positive Überraschung. Howard erschafft hier einen ganz eigenen Typus eines Mafiabosses, dessen weltgewandte Umgänglichkeit sich bald als kalte Professionalität entpuppt. In Neil Jordans Rachethriller „Die Fremde in Dir“ hatte der Schauspieler noch einen scheinbar besser zu ihm passenden Detective gespielt. „Die Fremde in Dir“ war der erste amerikanische Rachethriller seit Abel Ferraras „Die Frau mit der 45er Magnum“ (1981), der in Frage gestellt hat, ob die Ausführung der Rache tatsächlich zu einer Auflösung der Traumatisierung des Rächers führen kann. Doch während Ferrara zeigte, dass die Rache mehr eine Folge als eine Lösung des erlittenen Traumas ist, ergab sich Jordans Films am Ende doch wieder den Genrekonventionen und unterminierte damit seine eigene Aussage. „Dead Man Down“ wirft ebenfalls die Frage auf, ob Rache tatsächlich eine Möglichkeit zur Heilung der inneren Wunden ist. Wymans Skript hat die Chuzpe, diese Problematik einerseits ernsthaft anzureißen und zugleich die an das Genre verknüpften Erwartungen auf eine Art zu erfüllen, dass kein offensichtlicher Widerspruch entsteht. Eine wirkliche Vertiefung dieser Problematik steht jedoch weiterhin aus. Trotzdem ist „Dead Man Down“ ein Film, der gerade auch aufgrund seiner vielschichtigen und ausgearbeiteten Charaktere besticht. Den starken inhaltlichen Kontrasten entspricht ein intelligentes und perfekt umgesetztes visuelles Konzept. Vom kühlen Realismus setzen sich die teils brachialen Actionsequenzen und optischen Extravaganzen umso stärker ab. Spätestens wenn sich die Kamera von Paul Cameron („Collateral“) dann in rasanter Fahrt ein Treppenhaus hinunterschraubt, ist der irritierende Effekt durchaus mit Hitchcocks berühmter Treppenhausszene in „Vertigo“ (1958) vergleichbar. Das soll David Fincher erst einmal nachmachen.