Georg Baselitz

(D 2013; Regie: Evelyn Schels)

Disharmonisch an die Weltspitze

Früher sah er aus, als würde er jederzeit, wenn es sein muss, Geiseln nehmen. Und machte damit den meisten seiner Kollegen keine Konkurrenz. Wenn man sich heute Fotos von der Creme der deutschen Malerei aus den Achtzigern ansieht, Baselitz, Lüpertz, Immendorf, meist mit den Markenzeichen rasierte Glatze und schwarzer Bart, kann man Respekt kriegen – nicht nur vor der Kunst. Bis heute, hört man, sei Georg Baselitz noch immer der Meinung, dass Männer zur echten Malerei besser befähigt sind, weil sie (sinngemäß) über mehr Destruktivität und Aggressivität verfügten als Frauen.

Das entsprechende Bonmot fällt aber nicht im (gleichnamigen) Dokumentarfilm „Georg Baselitz“, den die mit dem Künstler befreundete Evelyn Schels über Leben und Arbeit des heute unwilder und bartlos aussehenden 75-jährigen Malers und Bildhauers gedreht hat. Gesettelter wirkt er, und auch seine Äußerungen bleiben im Rahmen. Geradezu distinguiert erscheint seine Frau Elke, die immer wieder mit einem Fotoapparat im Atelier auftaucht, den genervten Künstler bei der Arbeit und selbige im Progress festzuhalten („Immer knipsen, einfach immer nur knipsen!“) – als wenn nicht schon die eine Frau mit ihrem Aufnahmeteam reichen würde.

Doch im Gegensatz zum durch die Anwesenheit von Kameras schier erstarrten Gerhard Richter in der vergleichbaren Doku („<<TEXT:UNTERSTRICHEN>Gerhard Richter Painting“), scheint Baselitz sich nicht sonderlich durch Dreharbeiten gestört zu fühlen, eher gebauchpinselt, wenn er erklären kann, warum seine Leinwände immer auf dem Boden liegen müssen, wenn er malt („Meine Farben sind zu flüssig, an der Wand würde alles verlaufen“), was gleichzeitig erklärt, wozu die sieben großen Ventilatoren da sind.

Frau Elke dann im Einzelinterview, elegant, großbürgerlich distinguiert: „Georg ist ja leider nur die Nummer Drei in der Welt. Er würde das nicht zugeben, aber er möchte schon gerne die Nummer Eins sein.“ Später er: „Elke hätte natürlich am liebsten, dass ich die Eins bin, sie kommt nicht so gut damit zurecht, dass ich die Nummer Drei bin.“ (Bezug nehmen diese Nummern übrigens auf den so genannten Kunstkompass)

Konzern Baselitz drängt zur Weltspitze? Eine nicht so merkwürdige, sondern nahe liegende Vermischung von Kunst und Kapitalismus wird hier offenbar; ein Schlehmil, der Böses dabei zu denken trachtet: seit Jahrzehnten ist Kunst eine der sichersten Wertanlagen. Avantgarde, Moderne, Postmoderne – schön und gut, alles Geschmackssache. Wichtig ist der Marktwert des Künstlers, seine Präsenz auf den großen Ausstellungen und in den Galerien, nichtwahr?. In diesem Zusammenhang erhellend ist, dass beide Söhne Galeristen geworden sind – und eben keine Künstler …

Spotlights: Baselitz in Köln im großen Atelier, Baselitz in Imperia (Italien), zweiter Wohnsitz („Wo bekommt man in Italien deutsche Apfelbäume her, wenn man deutsche Apfelbäume malen will?“), Baselitz bei einer Ausstellungseröffnung am Seine-Ufer in Paris („Man ist jedes Mal wieder aufgeregt, ob das Neue angenommen wird“) in New York und in Salzburg. Baselitz als erschöpfter Bildhauer mit Kettensäge am groben Stamm, Schwerstarbeit mit Schwerstverletzungsgefahr.

Das Schönste aber (Geschmackssache) am Film sind die (meist gegenständlichen) Bilder, die Farben, und die Arbeit und das Ringen um das Bild. Wie oft Baselitz z.B. eine Stelle des Bildes schwarz überdeckt, dann wieder mit einem Lappen auswischt, mit Linien gestaltet, wieder komplett schwarz übergießt und wieder abwischt, das wirkt ebenso sinnlos wie einzig sinnvoll, und belegt die u.a. besonders körperliche und aktionsorientierte Dimension in Baselitz‘ Bildern (die ihre Initial-Impulse durch die Malerei der amerikanischen Abstrakten Expressionisten [Rothko, de Kooning, Pollock etc.] erhielt).

Seit seine Gemälde ab dem Jahr 1969 „auf dem Kopf stehen“, ist das das Baselitzsche Erkennungs-, Marken- und Erfolgszeichen geworden („Das Problem ist nicht der Gegenstand auf dem Bild, sondern das Problem ist das Bild als Gegenstand. Ich habe die („Frage“) gelöst, indem ich […] meine Gegenstände, meine Motive umgekehrt male. Also sie ohne die Bedeutung, die ein Gegenstand haben kann, darstelle. Denn wenn man sie umdreht, verlieren sie diese Bedeutung.“). Baselitz‘ radikale Idee wird in der Kunstwelt mitunter als Rettung des Gegenständlichen für die Kunst bewertet; und faszinierend sind die Ergebnisse, faszinierend bis ermüdend, denn im Kopf des Betrachters arbeitet alles doch stets gegen dieses Auf dem Kopf Stehende an und will wissen, wie es richtig herum aussieht.

Die aktuelle Erweiterung der Verdrehung ist, dass Baselitz Farbfotos seiner Frau zuerst ins Farbnegativ verkehrt, und dann – natürlich falsch herum – als Porträts auf die Leinwand bringt: Eine blaue Grande Gattin, incl. Perlenohrring, doppelt gemoppelt verkehrt herum, sozusagen.

Am meisten interessierte übrigens den Betrachter (i.e.: der Filmkritiker) vor dem Film: Wie malt Herr Baselitz denn nun diese umgekehrten Bilder? Erst richtig und dreht sie dann um? Oder sieht und malt er seine Motive immer gleich auf dem Kopf stehend? Diese Frage ist natürlich die Uninteressanteste überhaupt und beweist, wie wenig ich von Kunst verstehe. Sie wird deshalb auch hier nicht beantwortet, obwohl der Film eine Antwort zeigt.

Hingegen wirklich interessant ist ein eingespielter Auszug aus einem älteren Interview, in dem Baselitz aus dem Nähkästchen plaudert: „Mein Prinzip ist die Disharmonie, die Unausgewogenheit, die Zerstörung. Wenn ich links oben ein rotes Dreieck male, dann male ich rechts unten gerade keines […] – und das Unglück: Die Harmonie stellt sich ein, einfach so …“

Ob das Baselitzsche Harmonie-Dilemma nun auf ein ewiges und heimliches Grundgesetz der Bildenden Kunst per se zurück zu führen ist, wonach die Kunst, wie die Katze, was man auch dagegen tut, immer auf die Füße der Ausgeglichenheit fällt, oder ob das Genie des Herrn Baselitz nicht anders kann, als – trotz Triefaugen und Beulen in deren Knie – immer harmonische Figuren zu malen, dazu schweigt der Künstler und überlässt es uns, selbst unsere Köpfe zu verdrehen …

Benotung des Films :

Andreas Thomas
Georg Baselitz
Deutschland 2013 - 105 min.
Regie: Evelyn Schels - Drehbuch: Evelyn Schels - Bildgestaltung: Christian Meckel, Wolfgang Lehner, Evelyn Schels - Montage: Susanne Hartmann - Musik: Christoph Rinnert - Verleih: Alamode - FSK: ohne Altersbeschränkung - Besetzung: (Mitwirkende) Georg Baselitz
Kinostart (D): 11.04.2013

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2816858/