„Paris, Februar 1835, im Jahrhundert von Choderlos des Laclos“: Mit diesem Insert situiert, äußerlich betrachtet, Catherine Breillat das Geschehen ihres Films „Die letzte Mätresse“ („Une vieille maîtresse“) aus dem Jahre 2007. Es liegt in dieser Angabe zugleich ein Hauch von Bedauern über den Verlust einer gewissen moralischen Freizügigkeit, die den Leidenschaften und Trieben geschuldet ist. Einmal beklagt sich eine ältere Dame der Gesellschaft über die „Engstirnigkeit“ des Jahrhunderts im Unterschied zum vorhergehenden. Der Exzentriker und Dandy Jules-Amédée Barbey d’Aurevilly veröffentlichte seinen Roman über die schicksalhafte Liebesverfallenheit zweier Menschen, den Breillat für ihren Geschlechterdiskurs adaptierte, im Jahre 1851. In der Rahmenhandlung des Films fungiert das illusionslos-nüchterne Gespräch zwischen zwei Alten, dem Vicomte de Prony (Michael Lonsdale) und der Comtesse d’Artelles (Yolande Moreau) gewissermaßen als Auge der Gesellschaft, dessen überwachender Blick stets präsent ist und das Gerüchte, Spekulationen und Intrigen widerspiegelt.
Ausgelöst werden diese durch die geplante Heirat des etwa 30-jährigen, mittellosen Adligen Ryno de Marigny (Fu’ad Aït Aattou), einem verrufenen Wüstling, mit der jungen, tugendhaften Hermangarde de Polastron (Roxane Mesquida). Um seine aufrichtige Liebe und ehrlichen Absichten zu beweisen, beichtet er in einem langen nächtlichen Gespräch Hermangardes Großmutter und Vormund, der anteilnehmenden Marquise de Flers (Claude Sarraute), seine zehn Jahre währende Liebesbeziehung mit der spanischen Mätresse Señora Vellini (Asia Argento). In langen Rückblenden erzählt Catherine Breillat die Stationen einer Amour fou, in der die Liebenden, schicksalhaft und bis zur Verzweiflung aneinander gekettet, nicht mehr voneinander lassen können. Dabei sind beide abwechselnd Opfer ihrer Leidenschaft und eines unaufhörlichen Begehrens, in das sich immer wieder Hass, Eifersucht und Dominanzstreben mischen. „Etwas Schreckliches regiert mein Schicksal“, sagt Marigny und deutet damit auf die zerstörerische Seite der Liebe.
Die Flucht vor dem „Abgrund der Zärtlichkeiten“ wird von Breillat dabei in Korrelation gesetzt zu den Refugien der Einsamkeit, in die sich die Liebespaare wiederholt zurückziehen, um den Anfechtungen und Konventionen des gesellschaftlichen Lebens auszuweichen. In erlesenen Bildern und geistreich-doppeldeutigen Dialogen, in maßgeschneiderten Kostümen und geschmackvollen Interieurs inszeniert Catherine Breillat den Status quo einer Gesellschaft, in die die Liebe eindringt wie eine heimtückische Krankheit. Mit gewohnt unterkühltem Beobachterblick und in künstlich stilisierten Körper-Tableaus wandelt sich ihre „Komödie der Verführung“ dabei immer mehr zur Tragödie einer ebenso obsessiven wie destruktiven Liebe.