Filme von Thomas Heise sind obskur, monolithisch, möchte man sagen. Sie sind das Gegenteil von dem, was man als „an die Hand nehmend“ bezeichnen möchte. Sie zeigen sehr (!) unkommentiert und ausführlich „Material“ (auch ein Titel eines Heise-Films), sie zeigen beinahe das, was man „Found footage“ nennen könnte, also das, was ein Regisseur irgendwie von Außenstehenden gedreht vorgefunden und verwendet hat, mit wieder anderen Worten: Heise weiß, so scheint es, manchmal selbst nicht, wo Prioritäres und Sekundäres zu finden ist im Sucher der langsam gleitenden Kamera, und trotzdem sucht er, oder hört nicht auf zu suchen und zu filmen, bzw. statuiert er, dass in dem, was er sieht aber (noch) nicht benennen kann, Aussagen stecken über irgendetwas – z.B. eine bestimmte Zeit und ihre Geschichte oder eine Vergangenheit, oder das, was von einer Vergangenheit in einer Gegenwart steckt oder über eine Zukunft in einer, vielleicht dieser und unserer Gegenwart.
Für den Film „Gegenwart“ hat Heise sich sehr streng und monogam an einen Ort gehalten, auch die Zeit der filmischen Aufzeichnungen ist, so sagt es das Presseheft – denn Kommentare gibt es nicht in Heisefilmen – eine begrenzte, eine arbeitsreiche Zeit „zwischen den Jahren“ in einem Krematorium, denn die Särge mit Inhalt stapeln sich zwischen Weihnachten und Neujahr.
Zu Beginn sieht man weiße Partikel durch die Luft fliegen. Was ist das? Asche oder Schnee oder Parabel? Sind Filme über deutsche Krematorien Filme über die untrennbare deutsche und jüdische Geschichte? Niemand hats gesagt, geschweige denn der Regisseur, der filmt, dann doch erkennbar, nur tanzenden Schnee, der zeigt nur das eingefrorene Deutschland im Winter,und danach, distanziert und wenig am Detail interessiert, die eher routinierte, kühle und sachliche Arbeit bei der „Behandlung“, der „Verarbeitung“ von menschlichen Überresten. Auch hier eher Ahnung dessen, was da getan wird, als postletale Wahrheit, wegen der Kameradistanz, aber nicht zuletzt auch wegen des Schweigens oder nur gedämpften Austausches der am Vorgang beteiligten Arbeiter.
Einer von denen, einer mit Spiegelglatze (hat der Regisseur ihm gesagt, er solle das aus dramaturgischen Gründen anziehen?) trägt ein Thor Steinar-Muscleshirt und ist auch schön martialisch tätowiert. Minutenlang dürfen wir ihm dabei zusehen, wie er sich zuerst in den Ofen zwängt, dann Schamottesteine passgenau darin einzementiert: Ist das intendiert oder Zufall? Jedenfalls muss man schon aufpassen, um die Aufschrift zu erkennen; ich sage das nur, weil der Regisseur ja mal ein distanziertes Faible für ostdeutsche Neonazis hatte … (Nur dass dieses Krematorium hier ja dann unklischeegerecht irgendwo im Rheinland ist (was nicht im Presseheft steht)). Auch hier: Nebensache, natürlich, aber wo und was ist hier in dieser Doku die Hauptsache?
Was passiert hier eigentlich? Ist es wirklich zu erkennen, ist es wirklich interessant, oder schlafe ich gleich ein, weil alles, was hier passiert, genauso aussieht, wie alles, was überall passiert, wo gearbeitet wird? Jedenfalls so, wie ich Arbeit kenne, deutsche Arbeit? Macht Heise Filme über Deutschland oder über Arbeitsprozesse oder exakt über beides?
Die Särge stapeln sich zwischen Weihnachten und Neujahr. Diese vollautomatische Hochtechnologie, das erinnert an ein bestens schnurrendes und surrendes Atomkraftwerk, jedes tausendstel Grad im Ofen will registriert, jedes künstliche Hüftgelenk will säuberlich angehäuft sein, vom Zahnprothesengold (Gold, wo bleibt das Gold?) ganz zu schweigen. Und nochmal: geschwiegen wird hier sehr konzentriert, außer einmal, als der Senior der Firma, offenbar unaufgefordert, erzählt, dass er schon seit sechzig Jahren dabei ist und da drüben sein Junior, sein Enkel weitermachen wird. Aber das scheint Thomas Heise schon zu viel des verbalen Inputs.
Irgendwie und irgendwann ('fängt für uns die Zukunft an' – Nena) haben alle Gefilmten gemerkt, dass derart Persönliches für den Regisseur nicht hierher gehört und dass der Film schweigend und kommentarlos mehr zu erzählen hat, als mit Kommentar, – obwohl wir soeben via Worte auch viel über deutsche Tradition erfahren haben.
Am Ende macht Heise dann etwas Surrealeres als etwa ein David Lynch im Vorspann von „Mulholland Drive“. Etwas, was definitiv nicht beschreibbar ist. Das muss sein notwendiger Kontrapunkt sein. Ein Karneval der toten Seelen? Eine rheinländische Art von Verdauung der Gegenwart des Todes. Oder? Allenfalls monolithisch! Bitte selber kucken und erdulden, diesen schwierigen, langwierigen und so deutschen Film!