Vielleicht muss man zunächst zwei Schritte zurücktreten, um das Gesamtbild zu betrachten. Für manche Filme und Filmemacher arbeitet bekanntlich die Zeit. Und um eine historische Perspektive geht es Paul Thomas Anderson mit „The Master“ definitiv, womit er sich nach dem preisgekrönten Öldrama „There will be Blood“ wohl endgültig von den kaleidoskopischen Vorstadterzählungen aus „Boogie Nights“ oder „Magnolia“ verabschiedet hat. „The Master“, Andersons lang angekündigter „Scientology-Film“, schwelgt in großen Momenten wie ein klassisches Hollywood-Epos. Erinnerungen an eine vergangene Kino-Ära. Der Film will keinen Moment verhehlen, dass er einer sterbenden Spezies angehört. Irritierend daran ist nur, wie kraftlos und taub sich die Nostalgie anfühlt, die Anderson mit viel technischem Aufwand und Liebe zum Detail heraufbeschwört.
Diese Benommenheit beschreibt auch die mentale Kondition von Freddie Quell (Joaquin Phoenix). Freddie ist wie viele andere junge Amerikaner aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt – entlassen in eine Gesellschaft, die noch damit beschäftigt ist, die Produktivkräfte des Krieges in ein neues Wirtschaftswunder umzumünzen. Doch der traumatisierte Freddie fühlt sich in dieses neue Amerika nicht mehr integrierbar – ein Drifter ohne Ziel. So landet er eines Nachts auf der Yacht von Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman). Dodd hat gerade eine Bewegung namens “Die Sache” ins Leben gerufen, die über ein Produkt verfügt, das dem neuen Amerika für seine Reise in eine prosperierende Zukunft noch fehlt: Selbsterkenntnis. Verabreicht in Form eines kruden Glaubensbekenntnisses aus New Age-Spinnereien, Westentaschenpsychologie, philosophischen Versatzstücken und obskurer Science-Fiction. Er nimmt Freddie unter seine Fittiche, will ihn zum Modellsoldaten seiner “Sache” erziehen. Doch der will und kann sich nicht mehr einfügen.
Diese überschaubare Geschichte erzählt Anderson mit verschwenderischer Grandezza. Da segelt ein weißes Schiff unter der Golden Gate Bridge in den Sonnenuntergang und es werden noch einmal die alten Kameraobjektive entstaubt, um die Gesichter von Hoffman und Phoenix in extremen Close-Ups wie archaische Widescreen-Landschaften in Szene zu setzen. Jede Einstellung ist für die Ewigkeit, nur verweigert sich Anderson – wie Freddie – jeder Vereinnahmung. Dodd ist kein Ron L. Hubbard, “The Master” kein Film über Scientologie – eher über die gesellschaftlichen Umstände, die eine Organisation wie Scientology ermöglichten. Und er endet als trippiges Resozialisierungsdrama mit den Produktionsmitteln eines “Lawrence von Arabien”. Man wundert sich über die erratische Großzügigkeit, mit der Anderson Gelegenheiten verschenkt. “The Master” ist ein Meisterwerk als formale Behauptung.