„Die Sklaverei war kein Sergio-Leone-Western“, kommentierte Spike Lee vor Weihnachten Quentin Tarantinos ambitionierte Italowestern-Hommage „Django Unchained“. Lees Bemerkung sorgte kurzzeitig für Irritation (von Tarantino noch überboten mit einer Sammleredition von Django-Actionfiguren), wärmte aber nur eine Debatte auf, die schon im November Teile der kritischen US-Öffentlichkeit beschäftigt hatte. Anlass war damals Steven Spielbergs geschmackvolles Präsidentenporträt „Lincoln“, das die Kritik äußerst wohlwollend aufnahm, obwohl der Regisseur es nach „Amistad“ (1997) zum zweiten Mal geschafft hat, einen „historischen“ Film über die Sklaverei ohne ein einziges Bild der Unterdrückung – geschweige denn von einer Plantage – zu drehen. Ein sehr ziviler Film also über ein ganz und gar unzivilisiertes Thema. Spielberg delegiert wie schon mit „Amistad“ den Tatbestand der Sklaverei einfach in die Verantwortlichkeit der Justiz – als hinge der Seelenfrieden des amerikanischen Volkes ernsthaft von einem Verfassungsartikel ab. Dass in „Lincoln“ kein Afro-Amerikaner, außer als Sklave oder Soldat, zu Wort kommt, unterstreicht nur die Beschränktheit von Spielbergs Geschichtsbild. Es dominiert das Palaver alter weißer Männer.
Geschwafel kann man Tarantino nicht vorwerfen, schon dafür gebührt ihm Respekt. Sein Django ist genrebedingt ein Mann weniger Worte und grober Taten. Man kann eigentlich auch nichts Verwerfliches daran finden, dass ein ehemaliger Sklave durch den amerikanischen Süden reitet und Rassisten killt. Was die Moral betrifft … – damit hat es der Italowestern, auf den Tarantino sich bezieht (Teile des Soundtracks stammen von Ennio Morricone und Original-Django Franco Nero hat einen markanten Kurzauftritt), nie so gehabt. Doch die Politik des Genres hatte – hier irrt Lee – auf eine verwirrte Weise schon immer progressive Züge. Die Nischenökonomie des europäischen Exploitationkinos war in den Sechzigern und Siebzigern ein Quell radikaler gesellschaftlicher Ansichten. Der Italowestern mischte ganz vorne mit und stellte subalterne Herrschaftsverhältnisse auf den Kopf. Zapata-Western wie Damiano Damianis „Töte Amigo“, Giulio Petronis „Tepepa“ und Sergio Leones „Todesmelodie“ sind auch heute noch kluge Revolutionsfilme.
Es war „Django“-Regisseur Sergio Corbucci, der in „Navajo Kid“ einen Uramerikaner ein Massaker an seinem Stamm blutig rächen ließ. Und in „Django“ durfte Franco Nero den Ku-Klux-Klan mit einem Maschinengewehr niedermähen. Corbucci war ein harter Knochen – wer es nicht glaubt, sehe sich die Schlussszene von „Leichen pflastern seinen Weg“ an, in der der stumme Held im Schneematsch verblutet und die Bösen plündernd und vergewaltigend weiterziehen. Kein Wunder, dass sich Tarantino eher Corbucci als Leone verbunden fühlt. Ihre Filme haben ein Gewissen, aber zeigen keine Skrupel.
Tarantino hat wenig Interesse an wohltemperiertem, akkuratem Historienkino, soviel ist seit „Inglourious Basterds“ klar. Er zeigt, wie ein Sklave von einer Meute Hunde zerfleischt wird – halb im Off, in kurzen Einstellungen, bis die suggerierte Brutalität und die Schreie unerträglich werden. Nur Django guckt hin. „Ich habe lange genug unter Amerikanern gelebt.“
Tarantinos Filme beruhen auf einer anderen Geschichtlichkeit, der des Exploitationkinos, das immer an der Peripherie existierte. Darum kann er sich mit „Django Unchained“ einem vermeintlich politisch korrekten Historienkino (à la „Lincoln“) überlegen fühlen. Der Plot um einen ehemaligen Sklaven (Jamie Foxx), der als Partner eines weißen Kopfgeldjägers (Christoph Waltz) anheuert, um seine Frau aus den Händen eines sadistischen Plantagenbesitzers (Leonardo DiCaprio) zu befreien, ist eine zwingende Italowesternidee, die auch Tarantinos Liebe zum Blaxploitationkino entgegenkommt. HipHop-Stücke, Foxx‘ Sonnenbrille, sein ätzend blaues Landadel-Outfit, das geradezu „Pimp“ schreit – Tarantino versichert sich durch den Rückgriff auf unterschiedliche kulturelle Codes (Djangos Frau hört auf den schönen Metanamen Broomhilda von Shaft) der Überzeitigkeit. Die „blackness“ ist auf ein Publikum zugeschnitten, dem man, wie ein Kollege treffend bemerkte, erst erklären muss, dass das Jahr 1858, in dem der Film spielt, vor dem amerikanischen Bürgerkrieg war.
Vor dem Hintergrund dieser Überzeitigkeit wird die inflationäre Verwendung des (historisch korrekten) Wortes „Nigger“ tatsächlich etwas problematisch. Bei Tarantino klingt das N-Wort automatisch mehr nach Gangster Rap denn nach Mark Twain. Aber Spike Lee übertreibt: Sklaverei ist in „Django Unchained“ kein Insiderwitz unter Filmnerds, allein schon, weil Tarantino ästhetisch in zwei unterschiedlichen Gewaltmodi operiert. Die Gewalt gegen Sklaven weidet er nicht spekulativ aus, sie ist unmittelbar und schockierend – im Gegensatz zu Schießereien mit Rednecks und Plantagenbesitzern, bei denen ansehnliche Blutfontänen spritzen. Die B-Movie-Idee von Mandingo-Kämpfen, Gladiatorenwettkämpfen unter Sklaven, fungiert lediglich als drastische Metapher für die Unmenschlichkeit des Plantagensystems. Eine US-Kritikerin bemängelte diesbezüglich, dass es Tarantinos Film an Solidarität mangele. Aber das zentrale Filmmotiv ist ein romantisches (Django als Siegfried), kein sozialrevolutionäres. So weit geht Tarantinos Liebe zum Italowestern dann doch nicht.
Es gibt aber Momente, in denen Tarantino andeutet, daß er auch Erhellendes über die amerikanischen Herrschaftsverhältnisse zu sagen hätte. Einmal hält DiCaprio am Beispiel eines Totenschädels einen sinistren Monolog über das Wesen der Unterwürfigkeit. In einer anderen Szene dreht Samuel L. Jackson als sein Lakai (eine faszinierend undurchsichtige Figur, die ein eigenes B-Movie verdient hätte) kurzerhand die Machtverhältnisse um, wenn er mit Whiskeyglas im Sessel seines Herrn Platz nimmt und diesen belehrt. Am Ende jedoch ergötzt sich Tarantino vor allem an seinen Rachephantasien. Dass nach „Inglourious Basterds“ ausgerechnet ein Deutscher den Sklaven mit den Werkzeugen der Aufklärung aus seiner Unmündigkeit befreit – Waltz spielt den Aufklärer mit denselben Manierismen wie den Nazi -, ist wiederum eine Ironie, die eines Quentin Tarantino würdig ist.
[Link zu einer weiteren Filmkritik]
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 02/2013