Zero Dark Thirty

(USA 2012; Regie: Kathryn Bigelow)

Jagdfieber

Eigentlich ist das ja eine hübsche Pointe, wenn Kathryn Bigelow und der Drehbuchautor Mark Boal in Interview zu „Zero Dark Thirty“ erzählen, dass das Filmprojekt über die Jagd auf Osama Bin Laden schon in trockenen Tüchern war, als der im Mai 2011 im pakistanischen Abbottabad von einer US-Spezialeinheit gestellt und hingerichtet wurde. War das ein Happy End? Wohl kaum. Eher eine nationale (internationale?) Triebabfuhr mit Zeitverzögerung. Wer erinnert sich nicht an das berühmte Foto von Obama, Hillary Clinton und anderen aus dem Stab, die gebannt den Live-Stream des Militäreinsatzes verfolgen? Dieses Bild fehlt übrigens in „Zero Dark Thirty“, weil das Gezeigte nicht auf der Ebene des Politischen verhandelt werden soll. Dazu später mehr.

Am Anfang steht das Menetekel von „9/11“, mit dem Kathryn Bigelow ihren Film „Zero Dark Thirty“ eröffnet. Die Leinwand bleibt schwarz, aber man hört die Stimmen der Opfer des Terroranschlages aus der Luft. Stimmen voller Angst und Verzweiflung, Menschen, wissend, dass sie diesen Morgen nicht überleben werden. Als Präsident Bush damals unmittelbar nach den Anschlägen vor die Fernsehkameras trat, versprach er der traumatisierten Nation: „We’ll hunt them down!“ So, als sei das Ganze ein alter Indianerfilm, ein böser Traum. Aber nichts anderes als die geduldige, von Rückschlägen nicht zu erschütternde Einlösung dieses Versprechens, die Jagd auf Osama Bin Laden bis hin zur Nacht seiner Exekution durch eine Spezialeinheit in Pakistan, zeigt Bigelows Film – und ist doch zugleich das verstörende Psychogramm einer jungen CIA-Agentin, die von dieser Jagd geradezu besessen scheint.

Die Energie, die vom traumatischen Vorstellungskomplex „9/11“ ausgeht, reicht für eine lange, mühsame, aber ausdauernde Jagd, die gleichwohl gegen die wechselnden Moden und Opportunismen der Politik behauptet werden muss. Und gegen die kontrapunktisch eingesetzten Terroranschläge von Al-Qaida, die die Ermittlungsarbeiten strukturieren und vor allem eine ständige, nie nachlassende Gefahr beschwören, die von diesem Terrornetzwerk ausgeht: Madrid, London, Bali, Islamabad.

Nachdem ein paar Freunde und Mitarbeiter Mayas bei einem aberwitzig in Szene gesetzten und auch aberwitzig naiv geplanten Kontakt mit einem Informanten Opfer eines Selbstmordanschlages wurden, wird die ganze Angelegenheit fast schon zu einem persönlichen Feldzug, wenn Maya äußert, es sei vielleicht Schicksal, dass sie dem Anschlag entging, weil sie »die Sache« zu Ende bringen solle. Doch solch »kritische«, weil sentimentalen Momente gönnt sich der Film nur selten. Zumeist zeigt Bigelow die Arbeit der Geheimdienste unterkühlt als hoch professionell: man überwacht, sammelt Daten und Fakten, wertet aus, stellt Zusammenhänge her, geht Spuren nach, bringt Ordnung in ein Chaos von Informationen.

Und Bigelow zeigt auch: genau, die CIA foltert, um an Informationen zu gelangen und tötet als Konsequenz dieser Informationen; in verschiedenen Ländern unterhält man Geheimgefängnisse, in denen man Menschen verschwinden lassen kann. Vieles, was in den Jahren des „War against Terror“ zum Skandal wurde und vielleicht noch werden wird, wenn es denn überhaupt an die Öffentlichkeit kam oder kommt, wird von Bigelow ganz nüchtern registriert. Menschenrechte sind in Kriegszeiten etwas Relatives und Verhandelbares. Man kann diese Nüchternheit des Film als Indifferenz kritisieren.

Die Filmemacherin sagt von sich, sie habe keine Agenda gehabt, nur ihre Recherche – und ein paar Informationen aus erster Hand. Tritt der Film deshalb mit journalistischem Anspruch auf? In den USA wird „Zero Dark Thirty“ heftig kritisiert, weil man dem Film vorwirft, er legitimiere Folter, weil die Informationen, die durch Folter geschöpft worden seien, letztlich zur Liquidation Bin Ladens geführt hätten. Tatsächlich aber führen Informationen, die im Chaos der ersten Tage nach „9/11“ untergingen, zum Versteck von Bin Laden. Also: warum wird in „Zero Dark Thirty“ dann so ausgiebig gefoltert? Weil ausgiebig gefoltert wurde? Eine Gespensterdiskussion, die den Film grundsätzlich verfehlt, weil hier nichts legitimiert oder kritisiert wird.

Weit interessanter als die Beantwortung dieser Frage ist die Figur der manischen Jägerin Maya, gespielt von Jessica Chastain, die in ihrem Habitus fast an eine mythische Westernfigur erinnert (oder an Kapitän Ahab!) und die, als die Jagd endlich beendet ist, fassungslos ins Leere blickt und in Tränen ausbricht. Man kann diese Schlusspointe individualpsychologisch interpretieren – oder politisch. Ersteres scheint ein wenig vermessen bei einer Figur, die keine Geschichte (und eigentlich auch keine Gegenwart) hat; letzteres scheint eine interessante Gewichtung: Denn die Fixierung auf einen allmächtigen Bösewicht, der als Gegenüber fungiert, entspricht längst nicht mehr der nicht-hierarchischen rhizomartigen Vernetzung des globalen Terrors, sondern, eben, der Dramaturgie eines Indianerfilms.

In diesem Sinne wäre der groß angelegte Showdown von Abbottabad im Mai 2011 im dritten Abschnitt des Films eine verquere militaristische Farce, in der ein Spezialkommando mit großer Professionalität eine heikle Mission erfolgreich durchführt – und letztlich doch die Struktur des internationalen Terrors verfehlt, ja, verfehlen muss. „Zero Dark Thirty“ zeigt auch diesen ernüchternden Befund, der keinerlei Pathos oder Genugtuung zulässt, sondern eigentlich ein Scheitern aus politischer Kurzsichtigkeit konstatiert. So ist der Film ein durchaus temporeicher, spannender, fast schon dokumentarischer, aber vor allem höchst unbequemer Polit-Thriller voller unangenehmer Wahrheiten und politischer Ambivalenzen, dessen Einschätzung letztlich dem einzelnen Zuschauer und seiner politischen oder moralischen Haltung überlassen bleibt.

Diese fehlende Eindeutigkeit mag man bedauern, aber zugleich ist diese Offenheit ein Indiz dafür, dass Bigelow zumindest in einem Punkt irrt, nämlich wenn sie behauptet, ihr Film sei unpolitisch. Das Gegenteil ist der Fall. Dass eine Frau im Zentrum des Films steht, ist nicht neu im Werk Bigelows („Blue Steel“), für Profis hatte sie eh schon immer ein großes Herz („Tödliches Kommando“). Zumal, weil sie selbst das Image des toughen Tomboys, die gerne Genrefilme dreht, vor sich her trägt. Dazu passt der anti-bürokratische Zug von „Zero Dark Thirty“, wenn Maya sich bei ihrer Jagd durch wechselnde politische Großwetterlagen gestört fühlt. Wenn Obama einmal davon spricht, exterritoriale Gefängnisse schließen zu lassen, dann wirkt das aus Mayas Perspektive, die die Perspektive der Geheimdienste ist, bestenfalls unprofessionell.

Viel wichtiger ist jedoch der Respekt, den die Männer vom Einsatzkommando, die den Fall „Bin Laden“ abschließen werden, ihr, die sich selbst einmal als „motherfucker“ bezeichnet, entgegenbringen. Profis unter sich! Und vielleicht, weil die Geschichte ihr ins Drehbuch gepfuscht hat, hat Kathryn Bigelow ihren Film nach den Kapiteln „Folter“ und „Ermittlung“ um den Teil „Hinrichtung“ ergänzt, gefilmt durch schicke Nachtsichtgeräte, obwohl der Triumph am Schluss doch mehr als schal ausfällt. Action-Shoot-outs mit Spezial-Einsatzkommandos und Helikoptern bringen die Welt nicht mehr in Ordnung. So zeigt „Zero Dark Thirty“ 2013, dass George W. Bush 2001 irrte, als er glaubte, mit der Logik Hollywoods auf den Terror antworten zu wollen. Die Hinrichtung Bin Ladens ist schlicht ein Fehlschlag, der auch nicht dadurch camoufliert werden kann, dass man die Leiche im Indischen Ozean verschwinden ließ. Die Zeit der Super-Gangster ist vorbei. Als Maya das erkennt, hat sie ein Drittel ihres Lebens in die Jagd investiert. Diagnose: Burn-out (einer Nation).

Benotung des Films :

Ulrich Kriest
Zero Dark Thirty
USA 2012 - 157 min.
Regie: Kathryn Bigelow - Drehbuch: Mark Boal - Produktion: Kathryn Bigelow, Mark Boal, Megan Ellison - Bildgestaltung: Greig Fraser - Montage: William Goldenberg, Dylan Tichenor - Musik: Alexandre Desplat - Verleih: Universal - FSK: ab 16 Jahre - Besetzung: Stephen Dillane, Kyle Chandler, Mark Duplass, Mark Strong, Jennifer Ehle, Harold Perrineau, Jason Clarke, Edgar Ramirez, Joel Edgerton, Scott Adkins, Jessica Chastain, Frank Grillo, Chris Pratt
Kinostart (D): 31.01.2013

DVD-Starttermin (D): 06.06.2013

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1790885/