Hätte man eigentlich erwartet, dass derselbe Regisseur, der 1996 in „Mars Attacks!“ seinen damals von Hochkarätern überquellenden Cast bereits nach wenigen Minuten von dauergrinsenden Marsmännchen reihenweise dezimieren ließ, die deshalb die Erde heimsuchten, weil ihn die Erinnerung an die ähnlich gestalteten Comicfiguren auf den Kaugummibildern seiner Jugend noch als Erwachsenen verfolgte, hätte man also geglaubt, dass so ein herzensguter Sadist des Kinos und Liebhaber der noch so ranzigsten Popkultur-Erscheinungen seiner späteren Lesart von „Alice im Wunderland“ einzig quietschbunte Texturen und schauwertsfixierte Technikbegeisterung abringen würde?
So bedauerlich es mit anzusehen war, wie in Tim Burtons letzten Filmen das eigenwillige Zusammenspiel aus bedingungsloser Verbrüderung mit den gesellschaftlichen Outcasts, Neigung zum Horrorklassizismus als Geste der biografischen Verbeugung, Begeisterung für den nicht nur melancholischen sondern auch destruktiven Geist der Schwarzen Romantik und Archivierung der randständigsten Erscheinungen und Protagonist/inn/en des Phantastischen Kinos zur linkischen Formel erstarrte, auf dem Gebiet des Stop Motion-Animationsfilms bleibt er ein Zepterträger.
„Nightmare before Christmas“ (1993, Regie: Henry Selick), an dem Burton als Produzent rege mitwirkte, „Corpse Bride“ (2005, zusammen mit Mike Johnson) und nun „Frankenweenie“: Burton verwaltet erneut einen gewaltigen Fundus an (Horror-)Filmgeschichte, diesmal ist jedoch seine eigene inbegriffen. 1984, damals noch Animationszeichner für Disney und trotz der hohen Position als Concept Artist von den Produktionszuständen des Studios eher enttäuscht, schuf Burton seinen ersten, gut halbstündigen Realkurzfilm „Frankenweenie“, eine kleine Geschichte über die große Liebe eines Jungen zu seinem Hund, die über den Tod hinausgeht. Im Hause Disney zeigte man sich von der bizarren Frankenstein-Fabel not amused und versenkte das Ergebnis in den Archiven, wo der Film ein Jahrzehnt, bis zur Veröffentlichung der „Nightmare before Christmas“-Laserdisc, die ihn als Bonusmaterial enthielt, unter Verschluss blieb.
Burton konserviert und restauriert nunmehr auch sein eigenes Werk, und dass er dieses abermals von Disney budgetierte Puppentrickfilm-Remake als 3D-Produktion in, wie schon den Vorgänger, schwarz-weiß präsentiert, darf man wohl als filmgeschichtliche Verbeugung (schließlich schwamm schon Jack Arnolds „Schrecken vom Amazonas“ 1954 in 3D-Optik durch die Lagune), im Hinblick auf kommerzielle Richtlinien mindestens aber auch als nachgeholte Selbstbehauptung verstehen. Am im Kern identisch gebliebenen Plot wurde natürlich etwas geschraubt, um ihn auf 80 Minuten zu dehnen.
Inhaltlich nach wie vor eher an der Literaturvorlage denn an James Whales „Frankenstein“-Verfilmung orientiert, in der die Unschuld des Monsters ein wenig abgeschwächt werden musste, geht die Gefahr nicht im Geringsten vom exhumierten und wiederbelebten Hund Sparky aus, sondern von den bigotten Einwohnern des Suburbia-Kosmos New Holland. Dem achtjährigen Victor Frankenstein wird nicht das mad scientist-Gesetz – die Strafe für die Hybris wahlweise Gott oder die Natur auf die Probe zu stellen – zum Verhängnis, sondern nun im Speziellen eine Handvoll hinterhältiger Mitschüler. Heimlich wiederholen sie mit ihren toten Haustieren Victors Experiment, nachdem sie spitzgekriegt haben, dass er seinen vom Auto überfahrenen Hund Sparky mithilfe der rudimentären Kenntnisse aus dem Physikunterricht ins Leben zurückholen konnte. Ihre einstige Niedlichkeit lassen die mutierten Wiederkehrer jedoch arg vermissen und so überträgt sich der Frankenstein-Stoff in die Motive der monster movies der 50er Jahre.
Durch das Burtonville in „Frankenweenie“ lustwandelt man vom Universal- und Hammer-Horror zu Godzilla und zurück, ist aber schon deshalb eine Spur näher an den Vorbildern dran, weil beiden dieselben tricktechnischen Bedingungen zugrunde liegen. Zitat und Demut vor der Herkunft aus der gemeinsamen Schule reichen sich stets die Hände. Das besitzt, wie zu Burtons besten Zeiten, mal einen utopischen, mal einen gehässig-subversiven Anstrich: Vincent suspendiert nicht die Vernunft, die sich rächt, weil er, traurig über seinen Verlust, etwaige Grenzen der Naturwissenschaft überschreiten würde. Vincent reinstalliert das Kino ganz unnostalgisch als Traummaschine, indem er dem Tod ganz einfach und ohne böses Nachspiel ein Schnippchen schlägt. Sparky jedenfalls ist, abzüglich ein paar neuer Nähte auf dem Fell, fidel und gutmütig wie zu Lebzeiten, der reaktionäre Regelkanon des Genres mitsamt seinem Bestrafungskatalog ist Burtons Sache nicht. Da ist die New Holland-Gesellschaft, die das Fremde sogleich kontrollieren oder vernichten will, ein ganz anderes Kaliber. Wenn durch ihre Reihen eine (da will man dem hiesigen YPS-Relaunch glatt noch etwas abgewinnen) Gruppe wildgewordener Urzeitkrebse tobt, ist Burtons Versöhnung mit den Außenseitern endlich auch mal wieder Rache der popkulturellen Auslegeware.