Als es hieß, dass Quentin Tarantino einen Italowestern inszenieren würde, verwunderte das nicht unbedingt, denn der Einfluss eben jenes Genres war schon häufiger in seinen Filmen zu erkennen, siehe „Kill Bill: Vol. 1 und 2“ oder „Inglourious Basterds“. Ein lupenreines Imitat sollte man nun allerdings nicht erwarten, denn „Django Unchained“ steht Blaxploitation-Western wie Jack Arnolds „Boss Nigger“ (1975) näher als Sergio Corbuccis vermeintlichem Original. Tarantino selbst nennt seinen Film deshalb einen „Southerner“ und erfindet sich damit gleich ein eigenes Genre.
Der Sklave Django (Jamie Foxx) wird von einem als fahrendem Zahnarzt getarnten Kopfgeldjäger mit dem bedeutungsschwangeren bzw. -schweren Namen Dr. (Martin Luther?) King Schultz (Christoph Waltz) aus einer misslichen Lage befreit. Im Gegenzug soll er für den Doktor, der aus Düsseldorf stammt, seine ehemaligen Besitzer identifizieren, die inzwischen per Steckbrief gesucht werden. Dafür schenkt Schultz ihm nicht nur die Freiheit, sondern macht ihn auch zum Partner bei der Kopfgeldjagd und verspricht ihm seine Unterstützung dabei, seine Frau Broomhilda (Kerry Washington) aus der Hand des mächtigen Sklavenhalters Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) zu befreien. Doch bis es so weit kommt, verbringt der Film viel Zeit damit, Django mit dem Leben eines Kopfgeldjägers vertraut zu machen und bietet zunächst alles, was man von Tarantino erwartet: grandios verspielte Szenen mit geschliffenen Dialogen und großen Waltz-Momenten, Standoff-Situationen mit überraschendem Ausgang und einen Auftritt des KKK, den die Monty Pythons kaum alberner hätten inszenieren können.
Mit der Ankunft auf der Plantage des Oberbösewichts Candie allerdings vollzieht der Film eine radikale Richtungsänderung und wechselt die Tonart. Die Ironie muss Pause machen, Rassisten drangsalieren Sklaven, und die Gewaltdarstellung wird schwer erträglich. Richard Fleischers brutaler Sklavenhalterfilm „Mandingo“ scheint ganz plötzlich zur Hauptinspirationsquelle von „Django Unchained“ zu werden. Da verwundert es nicht, dass Spike Lee und Quentin Tarantino wohl eher keine gemeinsamen Grillpartys mehr veranstalten dürften. Selbst wenn man sich darauf einlassen mag, dass Tarantino – mit gewiss guten Absichten – ein unangenehmes Kapitel der amerikanischen Geschichte mit den Mitteln des B-Movies, des Exploitationfilms gar, für breite Zuschauerschichten aufbereiten will, selbst wenn man sich mit der Figur von Samuel L. Jackson abfindet, der einen abgrundtief bösen, von der Macht korrumpierten Haussklaven spielt, so weist das Drehbuch doch große Schwächen genau da auf, wo es seine Brillanz zu beweisen versucht, sodass der Film plötzlich disparat und orientierungslos wirkt.
Suspensereiche Undercover-Aktionen scheinen es Tarantino seit seinem Debüt mit „Reservoir Dogs“ angetan zu haben. In „Inglourious Basterds“ entwickelte er gleich mehrere Situationen, in denen die Söldner in Nazi-Rollen schlüpfen müssen. In „Django Unchained“ schließlich scheint Tarantino sich an einer ultimativen Suspense-Inszenierung zu versuchen: Um Broomhilda legal befreien zu können, gibt Schultz vor, einen Mandingo-Kämpfer kaufen zu wollen, einen Sklaven, der gegen andere Sklaven auf Leben und Tod kämpfen muss. Nur durch den Bezug zum grausamen Hobby des Sklavenhalters Candie sei dessen Interesse zu wecken, zumal es um tausende Dollars gehen würde. Djangos Frau Broomhilda soll quasi nebenbei für kleines Geld mitgekauft werden, weil sie wegen der Abstammung ihrer Vorbesitzer Deutsch spricht – der perfekte Vorwand für Schultz.
Doch der Versuch, den Pop-Pastiche in ein aberwitzig motiviertes Kammerspiel zu überführen, scheitert, weil Tarantinos Drehbuch sich kaum um auftretende Logiklöcher schert, die man in einem Actionfilm zwar vernachlässigen würde, nicht aber bei einer solchen Konstruktion, deren Zweck es doch sein soll, dem Gegner gedanklich einen Schritt voraus zu sein. Weil zudem Leonardo DiCaprio mit Verve Szenen an sich reißen darf, kommt auch die wunderbare Chemie zwischen Foxx und Waltz nicht mehr zum Tragen. DiCaprio legt seine Figur als Dämon mit Charme an und fordert den Vergleich mit Waltz’ Hans Landa aus „Inglourious Basterds“ geradezu heraus, doch er belegt den zweiten Platz nur mit großem Abstand.
Besonders unglaubwürdig wirkt die Auflösung der Situation: Im entscheidenden Moment nimmt man einer Figur eine irrationale bzw. sehr emotionale Handlung nicht ab, weil sie sich zuvor ganz anders präsentierte. Der Spannungsaufbau mündet dann doch wieder in einen so blutigen wie goutierbaren Shootout, in dem sich alle Rachephantasien erfüllen. „Django Unchained“ versucht damit zur Erzählweise zurückzukehren, die die erste Stunde des Films prägte, doch das wirkt vor allem inkonsequent.
Tarantinos Film steckt voller Ambition und guter Ideen, und doch scheint es diesmal, dass er sein Drehbuch besser noch einmal einer Revision unterzogen hätte – und sei es, um wenigstens den Gastauftritt von Franco Nero ein bisschen origineller zu gestalten.