„Für mich zählt nur die Liebe. Sie ist der einzige Grund zu leben“, sagt die 15-jährige Schülerin Camille (Lola Créton) zu ihrem um ein paar Jahre älteren Freund Sullivan (Sebastian Urzendowsky), der gerade sein Studium abgebrochen hat. Dieses Ausschließlichkeitsgefühl des ungewöhnlich ernsten Mädchens, das davon völlig absorbiert ist, steht in einer permanenten Spannung zu dem Freiheitsdrang des verspielten, noch suchenden Jungen und macht die leidenschaftliche Liebe der beiden fragil. Während Camille alle Gedanken auf ihre Sehnsucht nach Gleichklang und Symbiose richtet und jede Störung als Zeichen der Untreue interpretiert, besteht Sullivan auf ein eigenes Leben und auf eigene Erfahrungen. Für ihn ist noch alles Anfang und im Fluss, er flieht die Form und das Fertige. Als er im September des Jahres 1999, nach einem Sommer der Liebe und des getrübten Glücks, zu einer längeren Südamerika-Reise aufbricht, stürzt Camille in eine Krise. Ihr melancholisches Wesen verwandelt sich in Schwermut, ihr Kummer in Lebensüberdruss.
Man muss Mia Hansen-Løves Film „Un amour de jeunesse“ körperlich erfahren, sich seiner melancholischen Grundstimmung hingeben und sich von ihm mitnehmen lassen durch den Raum und die Zeit der Jugend, die er beschreibt. Offenheit und Bewegung sind dementsprechend die Merkmale von Hansen-Løves fast beiläufig und absichtslos wirkender Inszenierung. Ihr dynamischer Stil mit seinen schnellen Schnitten, Perspektivwechseln und Ellipsen versetzt alles in einen Fluss. Im Wechsel der Jahreszeiten vergehen so fast zehn Jahre, werden die dunklen Wintermonate in der Stadt von lichten, duftenden Sommern auf dem Land abgelöst. Alles ist Veränderung, nur wahrnehmbar in der Rückschau dieser Erzählung im Präteritum. In genau beobachteten oder hervorgehobenen Details verschieben sich die Gewichte, wechseln Stimmung und Atmosphäre und verwandelt sich Melancholie in Nostalgie.
Camilles Coming-of-age-Geschichte bleibt dabei das Zentrum: Wie sich nach einem Selbstmordversuch der Schmerz langsam von ihr ablöst, ohne ins Vergessen abzurutschen; wie sie sich während ihres Architekturstudiums vorsichtig in ihren Dozenten Lorenz (Magne-Håvard Brekke) verliebt und schließlich, behutsam und kontinuierlich, eine neue Perspektive auf ihr Leben gewinnt. Widersprüche und Zufälle sind dabei ihre stetigen Begleiter, ebenso eine grundsätzliche Einsamkeit, die sie nie ganz verlässt. Die „Form eines Schimmers“ entspringe der Dunkelheit, doziert Lorenz. Und: „Du musst dein Leben selbst gestalten, um du selbst zu werden.“ Als Camille nach Jahren Sullivan wiederbegegnet, der sich kaum verändert hat, ist die alte Liebe schnell neu entflammt: „Ich habe dich in mir wie eine Krankheit“, gesteht Camille. Doch am Ende dieses schönen Films treibt ihr Sommerhut, den sie einst von Sullivan geschenkt bekommen hat, verloren auf jenem Fluss (nämlich der Loire), der Camilles Vergangenheit mit ihrer Gegenwart verbindet. Dazu singen Johnny Flynn und Laura Marling den dunkel schimmernden Song „The water“: „All that I have is a river/The river is always my home.“