Am Himmel der Tag

(D 2012; Regie: Pola Schirin Beck)

Standard Operating Procedure

Coming-of-Age-Filme bilden ein beliebtes Sujet bei Filmhochschulabsolventen und
-absolventinnen. Oft genug selbst in einer Phase des Übergangs, verhandeln sie in ihren Filmen Themen wie die Entfremdung von den Eltern oder die Sehnsucht nach Freiheit, kombiniert mit Fragen nach der eigenen Identität. Damit verbunden geht es in diesen Filmen nicht selten auch um Grenzerfahrungen, weshalb die Selbstfindung der Adoleszenten hin und wieder ins Ausland (Afrika, wenn es besonders exotisch sein soll) verlegt wird. Meistens bleiben die Protagonisten allerdings daheim. Vornehmlich in Berlin, denn der hier ansässige RBB unterstützt seit geraumer Zeit die Arbeiten der HFF „Konrad Wolf“ sowie der DFFB. In der neuen Reihe „Leuchtstoff“ sollen nun noch einmal speziell Filme aus der Region Berlin-Brandenburg unterstützt werden, die nach Aussage des Senders „durch herausragende Qualität, großes Engagement und Leidenschaft beeindrucken“.

Den Anfang macht Pola Beck, die in „Am Himmel der Tag“ eine klassische Coming-of-Age-Geschichte erzählt: Lara ist unzufrieden mit ihrem Leben. Orientierungslos driftet sie durch ihr Architekturstudium, welches sie vor allem für ihre Eltern begonnen hat. Eine ungewollte Schwangerschaft, eingeleitet durch einen Barkeeper auf dem Disco-Klo, kommt da nicht ungelegen, bietet der langsam wachsende Embryo doch eine gute Gelegenheit, sich dem Leben zu stellen. Doch entgegen aller Hoffnung verläuft die Schwangerschaft nicht problemlos und entwickelt sich zu einer schweren Prüfung auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Die verspätete Adoleszenz Laras wird im Folgenden mit der dramaturgischen Akrobatik eines wohlerzogenen deutschen Abschlussfilmes geschildert. Das Verhältnis zu den Eltern (insbesondere zur Mutter), ist, wie könnte es anders sein, angespannt. Und selbstverständlich wird ausgestellt, wie sehr sich die Eltern in ihrem Upper-Middleclass-Architekten-Wohlstand bei traditionellem Filmabendessen mit gutem Wein voneinander und ihrer Tochter entfremdet haben. Und selbstverständlich darf auch ein Streit nicht fehlen, den Lara aus der Ferne beobachtet und anhand dessen für den Zuschauer klar wird, dass die Eltern als Bezugspersonen und Rettungsanker ausgedient haben. Um diese Strategie der Vereinsamung weiter voranzutreiben, ist dann auch die Mitarbeiterin des sozialmedizinischen Dienstes – denn Lara ist anfangs noch unsicher, ob sie das Kind behalten möchte – nichts weiter als eine emotionslose Schreibtischtäterin.

Ich wage zu behaupten, dass diese Situation mangelhaft bis gar nicht recherchiert ist, denn wer einmal in einer solchen Einrichtung vorbeischaut, wird feststellen, dass die MitarbeiterInnen eine Beratungsbescheinigung zum Schwangerschaftsabbruch nicht einfach ausfüllen und abstempeln, sondern zuvor sehr gezielt nach den familiären Hintergründen der Betroffenen sowie den Gründen für eine mögliche Abtreibung fragen. Schließlich geht es nicht um die rein bürokratische Genehmigung einer Abtreibung, sondern um den Erhalt von Leben und das Abwägen der Chancen, die diesem Leben geboten werden können oder verwehrt sind. Aber eine die Protagonistin isolierende Umgebung – da darf auch der aggressive Straßenverkehr der Metropole nicht fehlen – dient dem dramaturgischen Konzept eben mehr, welches die Kamera mit ihrem weitestgehenden Verzicht auf Totalen und mit gezielten Unschärfen um die Protagonistin ausstaffieren darf. Und beim Farbkonzept wird natürlich immer wieder auf das einsamste Kolorit des Farbkreises zurückgegriffen. Pullover, Taschen, Wandfarben, Bettbezüge – es bleibt subtil, aber dennoch das altbekannte Blau.

In diesem Zusammenhang genügt es beispielsweise auch, sich einmal vage vorzustellen, wie das Streichen eines Zimmers bei Mittzwanzigerinnen inszeniert sein könnte – und genau so sieht es dann auch aus. Oder da ist die gleich zu Beginn stattfindende Begegnung Laras mit dem kauzigen Nachbarn Elvar. In der Sekunde, in der er den Fahrstuhl betritt, ahnt man schon, in welchem Stockwerk die Reise am Schluss des Filmes enden wird. Zu aufdringlich skurril ist die Begegnung in Szene gesetzt, in der Lara auch noch einen symbolisch aufgeladenen, weil einsamen Guppy geschenkt bekommt. „Die sind super, die haben kein Gedächtnis“, flüstert der Nachbar Lara zu. Man wünschte sich, die Regisseurin hätte eines – ein Bildgedächtnis nämlich. Denn unter all den pittoresken Blaupausen wird selbst auf die obligatorischen Zugvögel als transitorisches Werkzeug nicht verzichtet.

Auch wenn nicht alles konsequent auserzählt und manchmal nur angedeutet wird, so werden doch nach und nach die handlungsbetonten Erzählkonventionen artig abgearbeitet und mit bekannten Mitteln professionell umgesetzt. Selbst die Wahl der Hauptdarstellerin offenbart den Hang der Regisseurin zu großzügig dosierter Konformität. Unabhängig von ihrer bravourösen Leistung, kommt man nicht umhin, Aylin Tezel unentwegt mit Everybodys-Darlings wie Lena Meyer-Landrut oder Nora Tschirner zu verwechseln. Es ist es schon verwunderlich, welch rehäugiges Frauenbild seit einiger Zeit im deutschen Kino und TV bedient und – auch in diesem Abschlussfilm – konsequent breitgetreten wird.

„Am Himmel der Tag“, dessen Hauptdarstellerin in manchen Szenen zu Tränen rührt und der über weite Strecken trotzdem erfreulich wenig rührselig daher kommt, ist bei aller Souveränität leider einer dieser Filme, auf den sich in seiner Gemachtheit irgendwie alle einigen können. Er ist handwerklich sicher inszeniert, zugleich aber unausstehlich brav und fernsehgerecht. Immerhin, so könnte gutes Fernsehen in näherer Zukunft aussehen und vielleicht verlange ich einfach zu viel von diesem Abschlussfilm. Vielleicht verteidige ich aber auch nur eine Form des Kinos, bei dem ich Dringlichkeit, eine unbändige Leidenschaft für das Medium und ein aufrichtiges Engagement für das gewählte Thema spüre, welches hier in seinem Spiel mit der Tabuisierung des Kindstodes gerade einmal die austauschbare Schablone für ein allzu bekanntes Coming-of-Age-Szenario liefert.

Mit „Am Himmel der Tag“ ist es wie mit den Strebern in der Schule: Das Einzige, worauf der Lehrer bei der Rückgabe der mit Note 1 beurteilten Klassenarbeit noch hinweisen kann, ist, dass das Auswendiglernen eben nicht alles ist.

Benotung des Films :

Ricardo Brunn
Am Himmel der Tag
Deutschland 2012 - 88 min.
Regie: Pola Schirin Beck - Drehbuch: Burkhardt Wunderlich - Produktion: Jeremias Loock - Bildgestaltung: Juan Sarmiento G. - Montage: David J. Rauschning - Musik: Ninca Leece - Verleih: Kinostar - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: Aylin Tezel, Henrike von Kuick, Tómas Lemarquis, Godehard Giese, Marion Mitterhammer, Lutz Blochberger, Kai-Michael Müller, Lisa Altenpohl, Lisa Altenpohl, Eddie Irle
Kinostart (D): 29.11.2012

DVD-Starttermin (D): 24.05.2013

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2249824/