Seit Ben Walters in einem Artikel für den „Guardian“ das „New-Wave Queer Cinema“ ausgerufen hat, gibt es kein Halten mehr: Eine Handvoll Filme und ihre Macher_innen wurden auserkoren, das alte Label „Queer Cinema“ wiederzubeleben und schaffen es dabei sogar in Mainstreammedien, wie dem Spiegel, für euphorische Rezensionen zu sorgen. Unter diesen Vorzeichen veröffentlicht nun die Edition Salzgeber im Rahmen einer neuen und naheliegend „New Wave Queer Cinema“ betitelten Reihe Ira Sachs‘ „Keep the Lights On“ auf DVD. Sachs gilt neben Andrew Haigh und Travis Mathew als Speerspitze dieser neuen Welle und ist wohl einer der Namen, auf den sich die meisten Kritiker_innen einigen können, wenn es um zeitgenössisches nicht-heterosexuelles Kino geht.
Das neue queere Kino soll eines sein, das Geschichten abseits von Coming-Out, AIDS und politischem Aktionismus erzählt, postemanzipatorisch und persönlich, dabei formal offen und unkonventionell. Und tatsächlich trifft das „Keep the Lights On“ ganz gut: Sachs zeigt uns Momentaufnahmen einer sich über ein Jahrzehnt erstreckenden Beziehung zwischen dem Künstler Erik und dem New Yorker Anwalt Paul. Dass diese Beziehung nicht in trauter Zweisamkeit (aber alles andere als in einer Katastrophe) endet, liegt nur bedingt an Pauls Cracksucht, die die Partnerschaft der beiden Männer immer wieder auf eine harte Probe stellt. Die Dramaturgie des Suchtdramas unterläuft Sachs in seinem Spielfilm. Wer einen geschmackvoll bebilderten Höllentrip erwartet, wird enttäuscht. Pauls Drogenproblem äußert sich vor allem durch seine Abwesenheit, wenn er etwa einen Entzug macht oder tagelang einfach verschwindet. Leerstellen, Sprünge und Abschweifungen prägen den Handlungsverlauf, an dessen Rand ganz eigene, unerzählte Geschichten abzulaufen scheinen. Dem Krisentreffen Eriks und seiner Freunde, die beraten, wie sie angesichts des verschollenen Paul handeln sollen, wird die für die Handlung irrelevante Verspätung einer Freundin zum besagten Treffen entgegengesetzt; dem Melodrama kommen so immer wieder Banalitäten in die Quere, die mit genauem Blick inszeniert sind und dafür sorgen, dass die Zuschauer_innen nicht in einen emotionalen Würgegriff geraten.
Der Fokus des Films aber liegt nicht auf Paul, sondern eindeutig auf dem von Thure Lindhardt gespielten Erik. Der stellt, wenn man so will, ein Alter Ego Ira Sachs‘ dar, der im Film auch auf eigene Erfahrungen im Kampf um einen suchtkranken Liebhaber zurückgreift. Dass es hierbei nicht zu einer Nabelschau kommt, liegt an der Distanz, die bei aller Intimität immer bestehen bleibt, und der besonderen Perspektive, der sich André Wendler in seinem Text zum Film in der Sissy detailreich gewidmet hat. „Keep the Lights On“ mag autobiografisch gefärbt sein, aber Sachs verlässt sich nicht auf das Label „Beruht auf einer wahren Geschichte“ oder zu kurz gedachten Vorstellungen von Authentizität, die so manchem Film schon als Qualitätsmerkmal dienen sollen. Stattdessen schafft Sachs eine komplexe Struktur aus Fiktion und Dokumentation, autobiografischen Details und ironischen Brüchen, die wie Spiegelscherben einander reflektieren. Der Ton des Films ist offen für Feinheiten und Schwingungen, sicherlich nicht humorlos, dabei aber stets von verhaltener Nostalgie, evoziert durch die ausgeblichenen Bilder und den grandiosen Soundtrack, der durchgängig aus Stücken und Songs von Arthur Russell besteht.
Trotz einiger Längen ein schlauer, schöner, guter Film also. Sicherlich auch ein queerer. Und man kann es einem einzelnen Film oder seinem Macher nicht zum Vorwurf machen, dass die noch vage Idee vom „New-Wave Queer Cinema“, wie Walters sie hat, bis dato wenig überzeugt und auf wackligen Beinen steht. Auffallend bleibt allerdings, dass die bisher zur Diskussion stehenden Vertreter des neuen queeren Kinos überwiegend weiße Schwule sind, die von Zweierbeziehungen und dem Sexualleben einer schwulen weißen Mittelschicht erzählen. Der bisweilen miterwähnte „Pariah“ von Dee Rees mit einer butchen Woman of Color als Protagonistin wirkt da fast schon etwas alibimäßig. Vor diesem Hintergrund entpuppt sich die viel beschworene Universalität, die Sachs‘ oder auch Haighs Werk auszeichnen soll und von der neben Walters beispielsweise auch Daniel Sander im Spiegel schreibt, eher als Egozentrik eines im Mainstream aufgegangenen Schwulseins. Diesen schwulen Geschichten soll keineswegs die Relevanz oder gar Queerness abgesprochen werden, aber damit das Label „New-Wave Queer Cinema“ in Zukunft Bestand hat, liegt es an Filmemacher_innen, Verleihen, Festivaljurys und Kritiker_innen, die Idee von Queerness mit Leben zu füllen und dabei auch nicht-heterosexuelles Leben abseits vom Schwulen zu berücksichtigen. Das heißt, nicht nur dafür zu sorgen, dass die Kinolichter weiter flimmern und homosexuelle Gesichten sichtbar zu machen, sondern sich auch der blinden Flecke bewusst zu werden, die dabei bleiben.