Ohne Zweifel ist „Schönheit“ von Carolin Schmitz in formal-ästhetischer Hinsicht einer der bemerkenswertesten deutschen Dokumentarfilme der letzten Zeit. Ähnlich ihrem Debütfilm „Portraits deutscher Alkoholiker“ kommt dem Raum dabei eine besondere Rolle zu. In tableau-vivant-artigen, bis in jedes Accessoire durchgeformten Einstellungen, die ähnlich den Kulissen des Theaters kein Außerhalb zulassen und durch ihr Inventar oftmals eine klinische Atmosphäre der Ordnung und Sauberkeit ausstrahlen, zeigt die Regisseurin Personen, in deren Leben Schönheitsoperationen einen zentralen Stellenwert besitzen. Konsequent kommentieren die Umgebungen die Protagonisten und ihr Gesagtes, überhöhen oder revidieren mal ironisch, mal zynisch. Während sie über ihr Online-Forum zum Thema Schönheitsoperationen als Lebensinhalt spricht, formt eine Protagonistin silikonkissengroße Buletten in ihrer Traumküche. In der Montage, die über den gesamten Film hinweg fabelhafte Transitionen herstellt, erfährt diese Szene einen weiteren Bruch, indem ihr anschließend das Bild eines Vertreters in gediegenem Ambiente entgegengesetzt wird, der über die Verschiedenartigkeit von Brustimplantaten referiert.
Unablässig wird so der Versuch unternommen, die Figuren in ihrem Wunsch zu entlarven, Teil einer diffusen (in Habitus und Raum jedoch erspürbaren) Elite sein zu wollen, wenn sie sich mit Statussymbolen umgeben, die durch die Zuordnung bestimmter Räume jedoch wie Fremdkörper wirken: Der Mercedes mit Holzarmaturen will in seinem edlen Erscheinungsbild einfach nicht zu den Vorhängen, der Couch und der großformatigen Teddybärfotografie im Wohnzimmer einer Protagonistin passen. Es geht demnach auch um Schönheit als Ersatzhandlung und manchmal ganz banal um das Gefühl von (Selbst-)Sicherheit. Und nicht selten wird durch die Organisation der Menschen im Raum nach einem strengen visuellen Konzept das Subjekt zum Objekt einer fast schon pathologischen Betrachtungsweise.
In dieser riskanten Gratwanderung belastet sich der Film schnell mit dem Vorwurf der Denunziation. Zwar entlarven sich die Protagonisten hinter ihren äußerst sauber verputzten Fassaden ihres Spießbürgerdaseins durch Habitus und Sprache oft genug selbst. Der konzeptuelle Ansatz und die gewählten filmischen Mittel verstärken diesen Eindruck jedoch, der zu allererst im Ansatz des Filmes zu suchen ist und mit der Auswahl der Figuren beginnt. Egal ob alleinstehender Dandy in gehobenem Alter, der es sich schuldig ist, schön zu sein oder in Partnerschaft lebende Automobilkauffrau auf Karrierefeldzug, die erst einmal keine Kinder möchte und auch nicht bereit wäre, diese (zum Schutze ihrer Brüste) zu stillen – das Figureninventar ist geprägt von Menschen, die spielend als Karikaturen zu zeichnen sind. Natürliche Ambivalenzen in den Personen werden, insofern sie je gedreht wurden, durch den Schnitt zu Gunsten einer Meinung großflächig wegoperiert. Denn indem sie bestimmte Figuren suchen und in akribisch konstruierte Tableaus setzen, gehen die Filmemacher bereits mit einer Ansicht in die Dreharbeiten, welche sie nicht hinterfragt wissen wollen. Auf einen dramaturgischen Bogen (einige Figuren werden nicht konsequent begleitet und ihr soziales Umfeld bleibt teils drastisch ausgespart), wodurch Relativierungen erzeugt werden könnten, wird verzichtet. Die offene dramatische Struktur reiht lieber zusätzliche Figuren, wie die 92jährige Oma, die noch ein paar Jahre schön sein will, in das Jahrmarktkaleidoskop der Eitelkeiten ein, obwohl diese dem Gesamtbild kaum mehr etwas hinzufügen können und im Fall dieser Frau nur bestätigen, dass Schönheitsoperationen bis ins Greisenalter hoch im Kurs stehen.
Der Vergleich mit den Filmen Ulrich Seidls („Mit Verlust ist zu rechnen“, „Tierische Liebe“), die einem aufgrund der überzeugenden formalen Strenge in den Sinn kommen, will deshalb nicht recht greifen. Im vollkommenen Gegensatz zu Ulrich Seidl wirken alle Personen in „Schönheit“ wie medizinisches Anschauungsmaterial. Auf seiner Suche nach Extremen will uns Seidl hingegen einen Spiegel vorhalten und immer dann, wenn seine Filme in reine Bloßstellung abzudriften drohen, gleicht er diese mit der Würde seiner Figuren aus. Denn im Kern geht es immer um deren und damit letztlich um die Einsamkeit des Zuschauers beziehungsweise das ewige menschliche Drama des Geliebtwerdenwollens.
Am Ende verweist folglich selbst der Titel nur noch auf ein für die Protagonisten diffuses Schönheitsideal, welches für die Regisseurin offensichtlich nicht hinnehmbar ist. Deswegen macht es auch keinerlei Sinn einen Diskurs über den Begriff Schönheit anzustrengen, da der Film sich dafür nicht interessiert, so wie die Regisseurin den Fragen nach Schönheit in Interviews konsequent aus dem Weg geht und lapidar auf die Vielschichtigkeit des Themas verweist. Was sich hinter dem Wunsch nach einem schöneren Körper tatsächlich verbirgt (die Schönheitsoperation kann nur als Teil einer viel umfassenderen Strategie des Body-Enhancements verstanden werden), welche Probleme den Menschen in seinem Verhältnis zum eigenen Körper auch in Bezug auf moralische Qualitäten der Schönheit begleiten, das spart der Film weitestgehend aus.
Was tun wir nicht alle tagtäglich, um uns besser und, in einem weiter gefassten Sinne, schöner darzustellen als wir sind. Den Machern von „Schönheit“ scheint es nicht so zu gehen. Sie begreifen die Sucht nach (chirurgisch hergestellter) Schönheit nicht im Kontext des Körpers als Träger vielfältiger sozialer Botschaften, sondern begnügen sich mit der offensichtlichen Ablehnung einer Mittelschicht, die das Glücksversprechen der Schönheit mit ihren Mitteln zu erreichen sucht.