Zitate aus Albert Camus‘ philosophischem Essay „Der Mythos von Sisyphos“ rahmen den Dokumentarfilm „Messner“ von Andreas Nickel. Tatsächlich ähneln die abenteuerlichen Unternehmungen des Südtiroler Extrembergsteigers und Grenzgängers Reinhold Messner, der sich selbst einmal als „Eroberer des Nutzlosen“ bezeichnet hat, einem absurden Tun. Zugleich ist dieser immer wieder neue „Kampf gegen Gipfel“, wie es bei Camus heißt, seine ebenso extremen wie nutzlosen Anstrengungen und Strapazen, Ausdruck existentieller Freiheit, die im Falle des Portraitierten schicksalhafte Züge trägt. Nicht umsonst zeigt das Plakatmotiv zum Film die Verschmelzung von Berg und Mensch. „I am obsessed by my vision“, heißt es im Song, der Messners „Leidenschaft bis zur Krankheit“ unterlegt ist. Jedoch geht es dem Bergsteiger dabei nicht um die Anhäufung von Rekorden, sondern um Erkenntnis und Überblick. Denn gerade die Grenzerfahrung lasse ihn, so Messner, „die Zerbrechlichkeit des Lebens“ spüren.
Als „Metapher für das universelle Thema des Wachsens an Widerständen, dem Überwinden von Rückschlägen“ und also für das Leben selbst versteht Andreas Nickel das Bergsteigen. Sein Film folgt insofern den Lebensstationen Reinhold Messners, indem er diese und die mit ihnen verbundenen Expeditionen unter gliedernde Begriffe wie zum Beispiel „Rebellion“, „Moral“, „Verantwortung“, „Selbstprüfung“ und „Erkenntnis“ stellt. Dazu äußern sich der Portraitierte selbst, drei seiner Brüder, Weggefährten und Zeitzeugen, während Nickel mit Zeitdokumenten und nachgestellten Bergtouren den berührenden Wahnsinn dieses ungewöhnlichen, sich dem Verstehen letztlich entziehenden Lebens nachzeichnet. Die Bergsteiger Florian und Martin Riegler sind neben andern für diese teils waghalsig erscheinenden Nachinszenierungen, die an faszinierend fotografierten Originalschauplätzen entstanden, in den Rollen von Reinhold und seines tödlich verunglückten Bruders Günther zu sehen.
Als Leitmotiv für Andreas Nickels biographischen Dokumentarfilm dient Messners Rebellion und unbedingter Freiheitswillen in der Konfrontation mit den Grenzen des Möglichen. Sein Klettern bedeutet Ausbruch aus der Enge von Tal, Elternhaus und Internat und ist zugleich Widerstand gegen Autoritäten sowie pure „Lust an der Auflehnung“ im Geiste der Achtundsechziger. „The Times They Are a Changin‘“, singt Bob Dylan auf der Tonspur des Films. Messner klettert gegen innere und äußere Widerstände und revolutioniert das Bergsteigen gegen die Helden-Mythen der Altvorderen. Doch der alpine Paradigmenwechsel fordert seine Opfer. Als sein Bruder Günther im Jahre 1970 auf tragische Weise am Nanga Parbat stirbt, vermischt sich Messners Trauma mit Schuldgefühlen, Zweifeln und äußeren Anfechtungen. Zugleich radikalisiert sich in der Folge sein Abenteurertum als gelte es, die Energie des Verstorbenen der eigenen hinzuzufügen und weiterzutragen.