Ironie der Geschichte! Wenn sich ein Filmkritiker am Donnerstagnachmittag als einziger Gast in einem riesigen Multiplex-Kinosaal einfindet, sollte man die Filmvorführung dann nicht vielleicht doch als „Pressevorführung“ bezeichnen? Til Schweiger hat es bekanntlich nicht so sehr mit Journalisten, die sich mit Film auskennen. Lieber kollaboriert er mit der „Bild“-Zeitung oder zeigt seinen neuen Film „Schutzengel“ gleich vor Ort in Afghanistan begeisterten Bundeswehrsoldaten, die seinen Film über stahlharte Ex-Bundeswehrsoldaten mit großem Herzen und coolen Sprüchen selbstredend „Bombe!“ finden. Oder er setzt sich in Fernseh-Talkshows dem knallhart menschelnden Fragenkatalog einer Rakers oder eines Lanz aus, um sich in der Pose dessen zu gefallen, der unangenehme Wahrheiten ausspricht, die die „Gutmenschengesellschaft“ (Schweiger) sonst gerne unter den Teppich der political correctness kehrt. Da fährt der Mann dann „als Vater“ gerne eine harte Linie gegen Sexualstraftäter und vermisst greinend den Respekt vor den Soldaten, die unsere Freiheit und Demokratie gegen Islamismus und FDP am Hindukusch verteidigen. Ein anerkannter und auch als solcher bereits ausgezeichneter „Querdenker“, der von seinen links-liberalen Eltern einst gezwungen wurde, beim Cowboy-und-Indianer-Spielen immer Indianer zu sein, weil Cowboys per se ja böse seien. So was kommt von so was.
„Schutzengel“ ist neben den noch lebenden und schon gefallenen Bundeswehrsoldaten übrigens ebenso programmatisch dem jüngst verstorbenen Action-Regisseur Tony Scott gewidmet. Es handelt sich dabei um pures Genre-Kino, eine wenig originelle Mischung aus allerlei Versatzstücken von „Leon, der Profi“ und dem aktuellen Jason Statham-Vehikel „Safe – Todsicher“. Also: das junge Mädchen Nina, Marke: Straßenkind mit Diabetes, wird zufällig Zeugin eines kaltblütigen Mordes an einem jungen Mann durch einen fiesen Waffenhändler – und wird folglich in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Doch des Waffenhändlers Macht reicht nicht nur in die korrupte Führungsetage der Staatsanwaltschaft, sondern verfügt auch noch über Dutzende schwerbewaffnete Killer, die hier in für deutsche Verhältnisse spektakulär inszenierten Shoot-outs ins Gras beißen müssen. Dafür sorgt nicht zuletzt der desillusionierte Ex-Elitesoldat Max Fischer, der sich des Mädchens annimmt und sich dabei gegen die Polizei und die Schergen des Waffenhändlers stellen muss. Allein gegen alle.
Fischer, ein von Til Schweiger gespielter Schweiger, freundet sich mit der von Schweigers Tochter Luna gespielten Zeugin an, die ihm ganz viele Fragen stellt. „Schutzengel“ ist also ein Ballerfilm mit Herz, dessen Dialoge auf dem Niveau von Udo Lindenbergs Klassiker „Wozu sind Kriege da?“ gründeln. Bevor der Film zu viel Tiefgang entfaltet, kommt mit Moritz Bleibtreu ein weiterer Afghanistan-Veteran zum Einsatz, der im Kampfeinsatz zwar seine Beine, nicht aber seinen Humor verlor. So gesellen sich die kessen Sprüche zu den großen Gefühlen und der wuchtigen Action. Man ahnt, was Schweiger, der hier als Produzent, Regisseur, Hauptdarsteller, Mit-Drehbuch-Autor und Mit-Cutter präsentiert, wohl im Sinn hatte: einen richtig harten Actionfilm, aber mit Herz und Witz. So amerikanisch, dass hier die Berliner Polizeisirenen glauben, sie seien bereits auf den Straßen von San Francisco unterwegs. Aber es hakt mit der Ökonomie der Mittel: die Action verwechselt den Thriller mit dem Kriegsfilm, das Herz wird mit Pathos zugeschmalzt, wenn der traumatisierte Schweiger-Fischer anhebt, vom Krieg in Afghanistan und von der dort erlebten Kameradschaft zu nöhlen.
Bleibt der Witz, der die zwei, drei Szenen trägt, die in Erinnerung bleiben werden. Weil die Handlung absolut vorhersehbar ist und auch gar kein Hehl daraus gemacht wird, dass hier alles den Genreregeln folgt (nur eben etwas unpräzise und ohne Timing), bleibt dem Zuschauer viel Zeit, um zu staunen, welch eine illustre Truppe von Schauspiel-Prominenz hier mit von der Partie ist. Von Herbert Knaup über Heiner Lauterbach und Kostja Ullmann bis Karoline Herfurth und Axel Stein – bis in die kleinsten Nebenrollen ist „Schutzengel“ »erstklassig« besetzt und kann es sich leisten, die Stars gleich reihenweise aus dem Film zu kegeln, äh, zu schießen. Spätestens wenn Axel Stein zu Beginn des Films bei seiner Frau anruft, um sie zu fragen, ob sie wirklich schwanger ist und sich trotz hörbarer Laktoseunverträglichkeit wie ein Schneekönig freut, weiß man, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Erstaunlicherweise dauert es dann noch gefühlte zehn Minuten, bis er endlich erschossen wird. Unökonomisch wie in diesem Fall werden Szenen immer wieder derart aufgeblasen und ausbuchstabiert, bis auch der dümmste Zuschauer es kapiert hat.
Andererseits schafft es der Film schließlich sogar noch, irgendwo im Brandenburgischen ein echtes Western-Szenario in Gang zu setzen, mit einsam gelegenem Farmgebäude, einer Herde Lamas und ein paar Bösewichten, die vorbeigeritten kommen. Beim blutigen Finale zitiert Schweiger durchaus ernsthaft Michael Ciminos „Heaven’s Gate“, genauer: die Szene, in der Christopher Walken stirbt. Nur, dass Christopher Walken hier nicht stirbt, weil Schweiger lieber noch ein paar Tears jerkt. Überhaupt zeigt Til Schweiger hier mit überraschend lässiger Geste, in welchem Universum von Jungs-Filmen zwischen Michael Mann, Luc Besson und Ben Affleck er sich selbst wohl einordnet. Wenn er nur nicht so ein sentimentaler Hund wäre! Mit fast 50! Oder gerade deshalb?