Die bürgerliche Kleinfamilie bleibt ja immer noch die schönste Konstellation, wenn man einmal einen richtigen Kriegsfilm so ganz ohne Uniformen drehen will. Noch schöner wird es, kehrt jemand zurück aus der Fremde in die Enge seiner Anfänge. Alle Konflikte noch da? Setzen! Marko (Lars Eidinger) ist ein Schriftsteller und lebt seit Jahren in Berlin. Sein Debüt als Autor war wohl recht erfolgreich, aber jetzt geht es irgendwie nicht recht voran und die Beziehung zur Mutter seines Sohnes Zowie (!) scheint gescheitert: man ist vorsorglich schon wieder auseinandergezogen. Für ein langes Wochenende kehrt Marco mit Zowie zurück ins Elternhaus nach Siegburg.
Dort, im Zentrum der alten Bundesrepublik, steht der großzügige Frühsiebiger-Bungalow der Bauhaus-Moderne. Marcos Alt-68er-Vater Günther (Ernst Stötzner) ist ein sehr erfolgreicher Verleger, der allerdings gerade seine Verlagsanteile verkauft hat, um jetzt endlich die Dinge tun zu können, die ihm vorher nicht möglich waren. Er, der souveräne Chef im Ring, will jetzt als Sachbuchautor ein weiteres Mal reüssieren. Marcos jüngerer Bruder Jacob (Sebastian Zimmler) ist Zahnarzt geworden, die Praxis und auch die eigene Wohnung hat ihm der Vater finanziert – und nebenher auch schon mal Küche und Couch ausgesucht. Was nicht viel geholfen hat, denn in dieser Stadt braucht es offenbar keinen weiteren jungen Zahnarzt: die ersten Geräte werden bereits wieder abgeholt, die Bank versteht keinen Spaß. Jacob führt zudem eine nicht ganz unproblematische Wochenendbeziehung. Marcos Mutter Gitte (Corinna Harfouch) ist vielleicht depressiv. Jedenfalls stand sie 30 Jahre unter Medikamenten. Ruhig gestellt. Jetzt hat sie diese eigenmächtig abgesetzt – und es geht ihr gut dabei. Sagt sie. Ein symbolischer Akt. Doch die Ordnung der Familie, ohnehin nur fragil und durch Wohlstand abgefedert, kommt durch diese eigensinnige Entscheidung ins Gleiten.
Mit chirurgischer Präzision entfernt Hans-Christian Schmid elegant Maske um Maske, bis die Wahrheit hinter der bürgerlichen Fassade kenntlich wird: diese Familie ist längst nur noch eine Fiktion, ein Transitraum, zentriert allein durch die sedierte Mutter im Bungalow. Fallen die Medikamente fort, wird der Blick plötzlich klar! Krankheit als Metapher in der Schlacht der Beziehungsökonomien: die alten Rollen zwischen Egoismus und Selbstmitleid, Verständnis und Überforderung werden noch einmal ausprobiert und dann verworfen. Die alten Rechnungen gehen nicht mehr auf! Günther hat sich sein Recht auf ein bisschen Unabhängigkeit schwer erarbeitet, hat er doch alles der Familie geopfert. Doch Gittes Rebellion verpufft in einem zwiespältigen Akt des Widerstands, weshalb der Filmtitel auch ohne Fragezeichen auskommt.
Kaum jemand könnte hierzulande einen solch subtilen und schmerzhaften Stoff, der an Ibsen und Tschechow erinnert, souveräner und pointierter – der Film dauert gerade mal 85 Minuten! – inszenieren als Hans-Christian Schmid („Requiem“), der hier auf ein erstklassiges Drehbuch von Bernd Lange, ein vorzügliches Set-Design und ein wirklich phänomenales Darstellerensemble um allerlei Theatergrößen bauen konnte. Ein nahezu perfekter Film – bis hin zur passend brüchig-elektronischen Musik von The Notwist. Einziges Manko, vielleicht unvermeidlich, ist, dass der Film gut 25 Jahre zu spät kommt. Man stelle sich „Was bleibt“ in der Geschichtsstille von 1987 vor! So muss jetzt wohl ein Double-Feature mit Petzolds „Barbara“ her, um die ganze Geschichte in den Blick zu bekommen.