„Wo bleiben nachts eigentlich all die Limousinen?“ fragte gerade erst Robert Pattinson in David Cronenbergs „Cosmopolis“. Die Antwort liefert nun Leos Carax‘ neuer Film „Holy Motors“. Da versammeln sich am Ende des Tages die Stretch-Limousinen der Stadt in einer Garage im Randbezirk. Nachdem der letzte Chauffeur die Halle verlassen hat, erwachen die Autos zum Leben und beginnen, über ihren Arbeitstag zu klagen. Ihr Gespräch spannt den ganz großen philosophischen Bogen vom Profanen zum Erhabenen. Die heiligen Maschinen, deren Geist längst unseren Alltag transzendiert hat und deren Schicksal darin besteht, von immer kleineren Prozessoren ersetzt zu werden.
Diese Schlusseinstellung fügt sich nahtlos in Carax‘ unberechenbaren kleinen Geniestreich von Film, in dem sich David Lynchs hypnotische Traumgespinste und die labyrinthische Logik eines Luis Borges verbinden. Neun „Verabredungen“ hat Monsieur Oscar im Auftrag einer ominösen Agentur zu erledigen, im Fond seiner Limousine lässt er sich von Termin zu Termin befördern. Verlässt er den Wagen, schlüpft er in eine neue Rolle: eine verkrüppelte Bettlerin, einen Familienvater, einen Martial Artist. Hochgradig bizarr ist die Zwergen-Episode um einen Modefotografen und sein Supermodel (Eva Mendes). Der als Gnom verkleidete Monsieur entführt die Schöne in die Unterwelt, wo er ihr Designerkleid wie einen Tschador herrichtet und sich mit erigiertem Schwanz in den Schlaf singen lässt.
Doch so herrlich beknackt das klingt, eigentlich ist Monsieur Oscar eine tragische Figur: ein Shapeshifter, eine Hülle ohne eigene Identität. Tod und Vergänglichkeit sind in Carax‘ Film allgegenwärtig. Mit einer Kollegin spielt Monsieur Oscar eine unglaublich bedrückende Sterbeszene durch. Ein anderes Mal tötet er einen Kriminellen, verwandelt ihn in seinen Doppelgänger und legt sich zum Sterben neben sein Ebenbild. Nur ist der Tod keine Option für ihn.
Hauptdarsteller Denis Lavant ist mit seinem sehnigen Körper und diesen tiefliegenden Augen schon physisch nicht für einen tragischen Heldentod geschaffen. Ein solches Privileg genießt nur eine Diva wie Kylie Minogue, die Lavant beim Schlendern durch die baufällige Pracht der „Samaritaine“-Korridore ein Liebeslied singt, das die Mauern zum Weinen bringen könnte. Wer waren wir, was ist aus uns geworden? Die Liebenden haben sich in Monster verwandelt. Es ist zum Sterben schön. Monsieur Oscar aber muss noch weiter zu einer Schimpansenfamilie. Sein leerer Blick aus dem Fenster spricht Bände.