22 Jahre nach Paul Verhoevens absichtsvoll trashiger Philip K. Dick-Verfilmung mit Arnold Schwarzenegger schien es höchste Zeit, sich den Mindfuck-Stoff einmal wieder vorzunehmen. Nicht jeder kann sich schließlich noch daran erinnern.
Plötzlich, so erzählte der Produzent Toby Jaffe im Presseheft, hatte er im Buchladen eine Sammlung klassischer Kurzgeschichten von Philip K. Dick in der Hand, darin auch die Geschichte „We can remember it for you wholesale“, die 1990 unter dem Titel „Total Recall“ sehr erfolgreich verfilmt worden war. Jaffe erkannte, dass es Zeit für eine Neuverfilmung sei und sprach darüber mit seinem Kollegen Neal H. Moritz. Der war von der Idee sehr angetan: „Wir hatten den Eindruck, dass die Figuren und die Geschichte von der ersten Verfilmung noch nicht auserzählt war. Wir wollten eine frische Version schaffen.“ Nun ist „frisch“ ja ein relativer Begriff und erstaunlicherweise hat sich die Neuverfilmung von „Total Recall“ sogar noch weiter von der Originalgeschichte entfernt als der Film von 1990, aber vielleicht hilft es Jaffe und Moritz ja, dass Kinogänger kein gutes Gedächtnis haben heutzutage. Wir erinnern uns! „Wenn ich nicht ich bin, wer bin ich denn?“ Niemand wusste diese existenzphilosophische Grundsatzfrage in Zeiten der potentiellen Überschreibung des Gedächtnisses besser zu formulieren als Arnold Schwarzenegger mit seinem schwerzungigen Akzent. Schwarzenegger spielte in Paul Verhoevens Blockbuster „Total Recall“ 1990 den Arbeiter Doug Quaid, dem ein Erinnerungsimplantat der Firma „ReKall“ erlaubt, sich den Wunsch einer Mars-Reise als Geheimagent zu erfüllen. Ihm wird versprochen, dass er am Ende der Reise das Mädchen bekomme, die Bösen getötet und dabei auch noch den Planeten gerettet haben wird. Der Blueprint eines Action-Films, der früh den Inhalt von „Total Recall“ auf den Punkt bringt, gleichzeitig aber auch hilft, den Protagonisten zu charakterisieren. Quaid erweist sich im Laufe des Films als Doppelagent in perfider Mission – und wird trotzdem zum Befreier. Verhoeven inszenierte die erkenntnistheoretische Petitesse von Philip K. Dick als bewusst grobschlächtigen Cartoon, kombinierte drastisch überzeichnete Gewalt mit einem bösen Humor („Consider this a divorce!“) und kulturkritischen Untertönen – und war stolz darauf, dass bis zum Schluss nicht zweifelsfrei zu entscheiden war, ob sich Quaids Abenteuer nicht vielleicht doch nur in den Räumen der Firma „ReKall“ abgespielt hatten.
Gespannt sein durfte man auf das Remake des „Underworld“-Regisseurs Len Wiseman, denn die literarische Vorlage „Erinnerungen en gros“ (1966) ist eine Kurzgeschichte, deren finale Alien-Pointe von Verhoeven seinerzeit komplett ignoriert worden war. Doch Wiseman und sein Team von fünf Drehbuchautoren entschieden sich lieber für ein nur leicht modifiziertes Remake, dass das Original in zentralen Motiven bestenfalls umtanzt, manche Szene zitiert, manch andere Szene gerade eben nicht nicht zitiert – und nur zwei, drei entschiedene Änderungen an der Handlung vornimmt. Mit Colin Farrell hat jetzt sogar ein »echter« Schauspieler die Hauptrolle übernommen, der sowohl die Paranoia spielen und die furiose Action körperlich glaubwürdig bewältigen kann. Auch steht Quaid jetzt zwischen zwei fast gleichberechtigten Frauenfiguren, gespielt von Kate Beckinsale und Jessica Biel, die sich einen heftigen und die Handlung über weite Strecken bestimmenden Cat Fight liefern. Wichtiger noch: Quaids Reise führt ihn nicht mehr zum Mars, sondern bleibt auf der von Kriegen weitgehend verwüsteten Erde, auf der es nur noch zwei Orte zum Leben gibt. Zwischen der Megalopole „Vereinigte Föderation von Britannien“ (VfB) und dem Super-Slum Australien („The Colony“) verkehrt ein Fahrstuhl namens „The Fall“, der quer durchs Erdinnere führt.
Man sieht dem Remake deutlich an, dass Wiseman einst als Set Designer gearbeitet hat. So wie Ridley Scott sich im Falle von „Prometheus“ bei Kubricks „2001-Odyssee im Weltraum“ bediente, so entwirft Wiseman „The Colony“ als deutliche Referenz an Scotts Klassiker „Blade Runner“ oder Bessons „Das fünfte Element“, wobei es ihm vornehmlich darum geht, Räume zu schaffen, die mehrdimensionale Verfolgungsjagden erlauben. So spielt dieses kinetische Kino derart aufreizend mit den vertikalen und horizontalen Dynamiken, dass man sich wundert, warum hier nicht gleich auf das modische 3D gesetzt wurde und warum die futuristischen Sets so liebevoll entworfen wurden, wenn sie doch bloß durch atemlose Action als Kulissen verheizt werden. Weil Wiseman ganz auf die stark beschleunigte Level-Dramaturgie eines Computerspiels setzt, tritt die Psycho-Thriller-Dimension des Stoffes fast komplett in den Hintergrund. Die Schauspieler, allen voran Kate Beckinsale, wirken unterfordert und sind zumeist damit beschäftigt, die Zähne zu fletschen, die Augen zu rollen und zu rennen, springen, hechten. Es wirkt unfreiwillig komisch, wenn die Figuren hier gefühlt ein paar dutzend Male auf Unvorhergesehenes und böse Überraschungen mit einem herzhaften „Oh, shit!“ reagieren. Wenn Quaid kurz vor Schluss einen verstörenden Einblick in die Komplexität seiner mehrfach manipulierten Identität gewinnt, dann ist dieser Schock bereits durch eine fatale Äußerung Matthias‘, des Anführers des Widerstands, abgefedert worden. Der hatte ihn kurz zuvor darauf hingewiesen, dass die Erinnerung immer ein Konstrukt sei, während allein das Handeln in der Gegenwart zähle. Und Handeln erwächst aus der Gegenwart. Ein solcher Satz unterläuft die kritisch-paranoide Substanz der ganzen Geschichte und beschädigt den Film so schwer, dass man nur noch schmunzelt, wenn die Kolonisierten nach dem sich endlos hinziehenden Showdown-Zinnober ganz beruhigt in die Zukunft blicken: „Jetzt wird alles gut!“