Die Geschichte, wie man sie aus Paul Verhoevens „Total Recall“ (1990) kennt, geht ungefähr so: Douglas Quaid, ein Arbeiter in einer dystopischen Zukunft, gelangweilt von seinem ereignisarmen Leben, geht zu einer Firma, die durch implantierte Erinnerungen mehr Zufriedenheit verspricht. Die gefälschte Vorstellung, Abenteuer als Geheimagent erlebt zu haben, vielleicht sogar auf dem Mars gewesen zu sein, das wäre doch was. Beim Versuch der Gedächtnismanipulation kommt es aber zu technischen Problemen, weil die Erinnerungen des Helden zuvor offenbar schon einmal verändert wurden. Der Durchschnittsmann – nun ja, gespielt von Arnold Schwarzenegger – ist tatsächlich ein Geheimagent namens Hauser, ohne es selbst geahnt zu haben. Sein Arbeiter-Leben entpuppt sich als Tarnung, und er wird in einen komplizierten Konflikt zwischen skrupelloser Regierung und Aufständischen hineingezogen. Oder träumt er all die Abenteuer und sitzt noch immer im Behandlungsstuhl? So ganz sicher kann er sich nie sein.
Paul Verhoevens „Total Recall“ ist nicht nur ein ziemlich gelungener Actionreißer und Mindfuck, sondern ein weiterer Beleg dafür, dass der posthume Erfolg von Philip K. Dick als Vorlagenlieferant für Science-Fiction-Filme sein eigentliches Werk überstrahlt und er viel zu wenig gelesen wird. Für eine ganze Weile fand sich beispielsweise in Filmtexten immer wieder die Behauptung, Ridley Scotts „Blade Runner“ basiere auf einer Kurzgeschichte. Dass man „Do Androids Dream of Electric Sheep“ mit seinen über 200 Taschenbuchseiten durchaus als Roman bezeichnen kann, hat sich erst mit dem Start des Director’s Cut in den Kinos so langsam auch bis zu jenen Cineasten herumgesprochen, die keine Zeit mehr haben, selbst zu lesen.
Im Fall der Neuauflage von „Total Recall“ durch Len Wiseman („Underworld“, „Live Free or Die Hard“) verhält es sich nun so: Regisseur und Produzenten erwähnen zwar durchaus, dass Paul Verhoeven mal einen Film gemacht hat, betonen aber gleichzeitig, nicht ein Remake, sondern eine neue, gar getreuere Umsetzung von Philip K. Dicks zugrunde liegender Kurzgeschichte „We Can Remember It for You Wholesale“ im Sinn gehabt zu haben. Eine Schutzbehauptung, um den Verdacht der inspirationsfreien Geldschneiderei zu entkräften? Gewiss nicht. Man sei „neu inspiriert“ worden, heißt es im Presseheft. „Wir hatten den Eindruck, dass man der originalen Geschichte völlig neue Seiten abgewinnen könnte“, sagt Produzent Neal H. Moritz. Darüber kann herzhaft lachen, wer Dicks Kurzgeschichte kennt. Denn die „völlig neuen Seiten“ muss man mit Sicherheit neu dazu schreiben, weil die Vorlage gar nicht viel mehr liefert als die Grundidee des unbewussten Superagenten, der über den Versuch, sich Spionage-Abenteuer und eine Reise zum Mars implantieren zu lassen, enttarnt wird. Und darauf folgt kein komplizierter Plot, sondern recht schnell eine der schönsten und absurdesten Pointen im mit Wendungen gespickten Oeuvre von Philip K. Dick, die keine höher budgetierte Verfilmung sich je getraut hätte.
So viele neue Seiten sind letztlich gar nicht zu entdecken in der neu inspirierten Version. Len Wisemans „Total Recall“ ist nichts anderes als ein Remake von Verhoevens Film, das sich entgegen der behaupteten Intention sogar noch weiter von der kurzen Vorlage entfernt. Es verzichtet ganz auf die Idee einer Reise zum Mars, um stattdessen eine vermeintlich logischere, insgesamt jedoch recht bescheuerte Reise durch die Erde per Super-Fahrstuhl zu präsentieren, die sogar bedeutungsvoll im Vorspanntext erklärt wird, obwohl man besser stillschweigend darüber hinweg inszeniert oder besser ganz darauf verzichtet und sich etwas Besseres ausgedacht hätte. Ansonsten werden die Plotpoints der Original-Filmstory wiederholt, deren Autoren in den Credits brav neben den Neuinterpreten Kurt Wimmer und Mark Bomback genannt werden. Ausgerechnet die letzte zynische Wendung aber, in der sich der wahre Charakter des Helden ihm selbst erschließt, per direkter Gegenüberstellung via Bildschirm, wird in der Neuauflage komplett in den Sand gesetzt – aber bis dahin hat man das Interesse ohnehin schon verloren.
Von Verhoevens Härte ist nichts mehr übrig. Damit ist nicht unbedingt gemeint, dass viele der Gegner in Wisemans Version moderne Sicherheitsroboter sind und es eher Blechschäden statt Blutfontänen zu bestaunen gibt, denn mehr Gewalt hätte nicht automatisch einen besseren Film bedeutet. Verhoevens Ambivalenz und Subversion aber, seine überdrehte, cartoonhafte Over-the-Top-Inszenierung trafen den Geist der Vorlage viel eher als der Versuch, durch aufwändige Setpieces à la „Blade Runner“ seriöse, realistische Science-Fiction zu simulieren, und dann doch umso mittiger in Logikfallen zu tappen. Auch die wunderbaren Mars-Mutationen und der schwarze Humor – restlos getilgt für eine familienfreundliche Thriller-Light-Variante mit zu vielen Verfolgungsjagden.
In einigen Szenen ist es durchaus sympathisch, wie Wiseman mit der Erwartungshaltung von Kennern des Originals spielt. Doch meist fällt durch die Nähe zur Vorlage umso mehr auf, wie stark der Neuentwurf abfällt, etwa wenn er sich sogar um ein paar böse Formulierungen drückt und es statt „Get your ass to Mars!“ plötzlich nur noch heißt: Geh nach Hause, und suche dort nach einem weiteren Hinweis. Was tatsächlich ganz gut funktioniert ist die nun etwas ausführlichere romantische Backstory, die ehedem nicht unbedingt im Fokus des Teams Verhoeven/Schwarzenegger stand (und bei Philip K. Dick in der Tat gar keine Rolle spielt).
Insgesamt wirkt „Total Recall“ wie ein typisches Remake von der Stange: Es wird ignoriert oder nicht verstanden, was eigentlich am Original gut war, und trotzdem soll genau dasselbe noch einmal verkauft werden, und zwar möglichst allen. Drum bitte bloß nicht wehtun!