„Clean-desk-Policy“ lautet einer der modernen Arbeitsplatzgrundsätze in dem hellen, auf Transparenz zielenden Großraumbüro einer Firma für Klimatechnik. Wenn die Mitarbeiter, die hier für die Werbung und Betreuung von Kunden zuständig sind, nach Arbeitsschluss ihren Laptop samt Headset und ein paar wenigen Akten in einem sogenannten „Pilotenkoffer“ verschwinden lassen und diesen dann beim Verlassen des Büros in einem Regal deponieren, ist der Raum leer und seine gedämpfte Atmosphäre verwandelt sich in eine unheimliche Stille. Nichts Persönliches bleibt zurück, als würde hier auf Abruf oder nur vorübergehend gearbeitet werden. Und diese Abwesenheit individueller Spuren korrespondiert dabei nicht nur mit der zunehmenden Abstraktion von Arbeit, die ihren Inhalt durch ein System von Funktionen ersetzt hat, sondern auch mit den Mechanismen der Kontrolle, die sich ebenso subtil wie perfide den Mitarbeitern einschreiben. Denn die hierarchischen Machtstrukturen haben sich keinesfalls in den äußerlichen Leerstellen einer nur vorgetäuschten Wirklichkeit verflüchtigt; ihre Träger und Repräsentanten geben sich nur offener, geschmeidiger, toleranter und vertraulicher.
An diesem Punkt setzt Dirk Lütters beindruckender Film „Die Ausbildung“ mit seiner radikalen Verschränkung von Form und Inhalt ein. In streng kadrierten Bildern, mit distanziertem Beobachterblick und den Wiederholungsschleifen rhythmisierter Arbeitsprozesse und ebenso durchorganisierter Freizeitgestaltung, wird die Arbeitswelt zu einem entpersönlichten, fortwährend überwachten Gefängnis. Abweichung oder Funktionsuntüchtigkeit werden gnadenlos bestraft, weshalb die Angst davor zu einem enormen Anpassungsdruck und einer gravierenden Selbstdisziplinierung führt. Das bekommt gleich zu Beginn der etwa 20-jährige Auszubildende Jan Westheim (Joseph K. Bundschuh) zu spüren, der in einem Gespräch mit seinem Vorgesetzten Tobias Hoffmann (Stefan Rudolf), einer Gewerkschaftsvertreterin (Anja Beatrice Kaul), die zugleich seine Mutter ist, und der Abteilungsleiterin Susanne (Dagmar Sachse) sein Leistungsprofil und eine etwaige Übernahme in die Firma bespricht. Aber eigentlich ähnelt die Situation eher einem Verhör, das den Kandidaten suggestiv zwingt, sich selbst zu evaluieren und eine Fehleranalyse zu betreiben.
Die Pflicht zur eigenverantwortlichen Selbstoptimierung steht hinter dem scheinbar neutralen, Machtlosigkeit vortäuschenden Statement des Chefs: „Die Zahlen entscheiden.“ Um seiner offenen Forderung nach einer Leistungssteigerung Nachdruck zu verleihen, fördert Tobias versteckt Konkurrenzdenken und Mobbing, wobei ihm befristete Arbeitsverträge und Kündigungsdrohungen zusätzlich als strukturelle Druckmittel dienen. Mit der nicht zuletzt aufgrund privater Probleme überforderten Susanne hat er auch schon eine Schwachstelle im System ausfindig gemacht. Indem er Jan auf sie „ansetzt“, entsteht ein unterschwelliges Abhängigkeitsverhältnis. Dieses wird noch verstärkt, als sich Jan in die gleichaltrige Zeitarbeiterin Jenny Bolewski (Anke Retzlaff) verliebt und sich bei Tobias auch für ihre berufliche Zukunft engagiert. So wird Jan, dessen Charakter in diesem schwierigen und zugleich widersprüchlichen Spannungsverhältnis als schwankend, ungefestigt und passiv beschrieben wird, zu einer Art naivem Täter. Wenn er nach Feierabend im eigenen Auto den Geschwindigkeitsrausch sucht, in Einkaufszentren unterwegs ist oder viel Wert auf Kleidung und Körperpflege legt, erscheint er als typischer Vertreter einer Konsumentengeneration. Und doch gibt es bei ihm immer wieder auch kurze Momente eines nachdenklichen Zögerns, eines mitfühlenden Innehaltens und einer fast unmerklichen Sabotage, die als Zeichen eines erwachenden Bewusstseins den beängstigenden Konformismus der gar nicht schönen neuen Arbeitswelt zumindest in Frage stellen.