Bombay Diaries

(IN 2010; Regie: Kiran Rao)

Sublimierte Wirklichkeit

Entlang Mumbais berühmter Meerespromenade Marine Drive geht die Fahrt in einem Taxi, während der Monsunregen gegen die Autoscheiben prasselt. Dabei gehört der subjektive Kamera-Blick aus dieser Exposition einer jungen Studentin namens Yasmin (Kriti Malhotra), von der wir zunächst jedoch nur erfahren, dass sie sich seit wenigen Monaten in der indischen Millionen-Metropole aufhält. Noch immer fühle sie sich fremd und leide unter Heimweh, sagt sie zum Taxifahrer. Die frische Meeresluft empfindet sie als Ausdruck des Verlangens. Tatsächlich ist Yasmin gerade dabei, ein Videotagebuch für ihre Schwester Imram zu realisieren. Melancholische Stimmungen, verursacht durch Liebeskummer, Fremdheitsgefühle und die Suche nach einem Halt, wechseln sich ab mit Bildern der brodelnden, höchst vitalen Stadt. Dokumentarisches und Persönliches verbinden sich in diesen filmischen Aufzeichnungen zu einem bewegenden Vermächtnis.

Als Hommage an die flirrende Intensität und gewaltige Energie der tropischen Hafenstadt versteht auch die indische Regisseurin Kiran Rao ihren Debütfilm „Bombay Diaries“ (Dhobi Ghat). Mit verschiedenen Aufnahmeformaten an Originalschauplätzen gedreht, folgt sie in ihrem episodisch gebauten Drama und unter wechselnder Perspektive verschiedenen Protagonisten, deren Wege sich (mitunter allzu oft und zufällig) kreuzen und deren Schicksale sich immer deutlicher miteinander verbinden. Dabei geht es um unerfüllte Liebe, die determinierende Kraft extremer sozialer Gegensätze, das Scheitern von Träumen und um den Mut zur Freundschaft. Physisch direkt und emotional berührend spürt Kiran Rao den geheimen Verbindungen zwischen ihren Helden nach, spinnt ihre Bewegungen ein in ein kalkuliert organisiertes System von Hinweisen und Zeichen und reflektiert darüber hinaus die Entstehung von Kunst.

Im Universum ihrer reizvoll konstruierten Parallelgeschichten ist es dem Maler Arun (gespielt von Raos Ehemann, dem Bollywoodsuperstar Aamir Khan) vorbehalten, nach einem Wohnungsumzug Yasmins Videotapes in einer Blechdose zu entdecken. Durch die Auseinandersetzung mit deren tragischer Geschichte gewinnt auch seine eigene Kunst neue Kraft und sein Blick aufs Leben eine neue Richtung. Verbunden ist er darin mit der jungen, überaus erfolgreichen Investmentbankerin Shai (Monica Dogra), die sich nach Jahren in den USA jetzt in ihrer Heimatstadt Mumbai als Fotografin versucht. Selbst wohlhabend und gutsituiert, spürt sie in ihren Bildern dem Leben der sozial benachteiligten Menschen nach, was im Film jedoch über den oberflächlichen Status der Illustration kaum hinausgeht. Begleitet wird sie auf ihren Streifzügen durch die Stadt und ihre entlegenen Bezirke – den bunten Märkten, Parfümerien, Baustellen und der im Original titelgebenden Wäscherei – von dem jungen Wäscher (und Rattenfänger) Munna (Prateik), der von einer Karriere als Filmschauspieler träumt und sich unsterblich in die schöne Shai verliebt. Uns so ist es letztlich die Sublimierung einer unmöglichen Liebe, die sich in Kiran Raos sehenswertem Film „Bombay Diaries“ immer wieder kinotauglich über eine authentische Wirklichkeitsdarstellung legt.

Benotung des Films :

Wolfgang Nierlin
Bombay Diaries
(Dhobi Ghat)
Indien 2010 - 100 min.
Regie: Kiran Rao - Drehbuch: Kiran Rao - Produktion: Aamir Khan, Kiran Rao - Bildgestaltung: Tushar Kanti Ray - Montage: Nishant Radhakrishnan - Musik: Gustavo Santaolalla - Verleih: Rapid Eye Movies - FSK: ab 6 Jahre - Besetzung: Monica Dogra, Aamir Khan, Prateik Babbar, Kriti Malhotra, Kitu Gidwani, Nafisa Amin Khan, Aasha Pawar, Jyoti Pawar, Norma Lobo
Kinostart (D): 29.09.2011

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1433810/