Ein junger Börsen- und Powerbroker will partout am anderen Ende Manhattans zum Friseur, während antikapitalistische Massendemonstrationen (bei denen riesige Rattenpuppen als apokalyptisches Sinnbild fungieren), ein attentatsbedrohter Präsidentenkonvoi und der Begräbniszug eines Sufi-Rappers die Straßen blockieren. Also fährt sein Chauffeur und Leibwächter ihn im Schritttempo und mit mehreren Stopps in der Limousine durch die Stadt; ständig steigt jemand für ein paar hundert Meter und Worte zu ihm in die Limousine ein (etwa Jay Baruchel als sein IT-Experte, Juliette Binoche als Kunsthändlerin und gierige Geliebte, Samantha Morton als philosophisch gestimmte Spekulationsberaterin).
'Cosmopolis' basiert auf dem 2003 erschienenen gleichnamigen Roman von Don DeLillo. Den Stationenlaufstoff hätte ein John Carpenter vielleicht als Actiongroteske im urbanen Indianerland verfilmt (nach Art seiner 'Escape'-Filme etwa). David Cronenberg hingegen – der das Regiehandwerk ebenfalls um 1970 mit SciFi- und Horrorfilmen begann, die allerdings noch weit konzeptueller angelegt waren – situiert das unberechenbare Raubtier im Inneren des Fahrzeugs und gestaltet den Umweg zum Haircut als Shortcut, im doppelten Sinn. Einerseits genügt 'Twilight'-Star Robert Pattinson in der Milliardärsrolle, um dem Regisseur neue, jüngere Zielgruppen zu erschließen – wenn auch nur kurzfristig, so doch über jene Strahlkraft und Breitenwirkung hinaus, die vom vormaligen 'Lord of the Rings'-König Viggo Mortensen in Hauptrollen der letzten drei Cronenberg-Filme ausgegangen war. (Für Pattinson in seiner anhaltenden Romanzenrollenbindung wird 'Cosmopolis' wohl einen jähen, riskanten Befreiungsschlag bedeuten, und er wechselt nun vom Vampir-Ethos des Dauerverzichts in den blass-schlaffen Habitus von einem, der von allem zu früh zuviel kriegt. Blutsaugersymbolik – geschenkt!)
Anderseits scheint Cronenberg einem später zugestiegenen Publikum eine Art Schnelldurchlauf durch das Repertoire seiner bisherigen Standardmotive zu bieten: der diskursanalytische Blick auf Kapitalmachtpraktiken und New Age-Hoffnungen; das Sich-Verstricken körperlicher Intimität in Endlossprachspiele (solche der Kunst, der Sucht, der Technologie, der Medizin, letzteres hier in Form einer privatärztlichen Rücksitzuntersuchung an Pattinsons Prostata, die sich als so asymmetrisch erweist wie weiland die Gebärmutter der Heldin von 'Dead Ringers'); ein Kopfschuss als (narrativ kompliziert konstellierter) Handlungsfluchtpunkt; ein Abbruchhaus als Tempel eines nur halb verständlichen Rituals; ein Auto als in aller Enge geräumiges Habitat voller Screens, Flüssigkeiten und Eigengeruch. (Und auch was die Verweigerung – oder Verhunzung? – einschlägiger Reize von Massenszenen betrifft, bleibt Cronenberg seiner Linie treu: Die Rattenattrappenmassendemos von 'Cosmopolis' stehen der Karikatur einer Pariser Mai-Straßenschlacht in 'M. Butterfly' in nichts nach.)
Zirkus Crones Greatest Hits – aber so, dass es alle Fans verstören wird, die aus Team Edward wie auch die aus Team David. Das haltlose Drauflosreden über Revolutionsapokalyptik, Referenzverlust des Geldes und die zwischen Kunstsammeln und Lebensmüdigkeit gähnenden Sinnkrisen der Reichen, das ist einfach extrem prätentiös; es schlägt etwa das Ennui- und Existenzialexperiment-Gehauche von 'Crash' um Längen, und es hat auch seine Längen, die fast schon atemberaubend und selbstwerthaft anmuten (der beinah halbstündige antiklimaktische Dialog zwischen Pattinson und Paul Giamatti am Filmende ist schlicht jenseitig). Das wird sich in Form von Verzweiflung auf Teenieblogs niederschlagen. Hingegen können Cinephile und viele, die glauben, der Kapitalismus sei erst durch seine jüngste Finanzkrise zur gesellschaftsbestimmenden Macht geworden, sich das mitunter wie eine Spätachtziger-Retro-Version von Cyber-Postmodernismus anmutende Gerede (Medienguru Professor Brian O’Blivion aus 'Videodrome' lässt grüßen, nicht zuletzt per Limousinenscreen) schönsaufen, indem sie, wie in Besprechungen von 'Cosmopolis' zu lesen, die Romanvorlage als 'prophetisch' und den Film als im emphatischen Sinn 'of our time' hinstellen. Nun ja. Dass wieder mal eine Krise kommen wird, dass Geld eigenlogisch und Krawall vorprogrammiert ist, sich das zu denken, bedarf es einer Art von Oberschlauheit, die durch die Metaphernakrobatik in den rezitierten Romandialogen von 'Cosmopolis' eh gut bedient wird. Ähnliches gilt für den Aha!-Konnex zwischen den Jackson-Pollock-artigen Farbspritzern im – wie so oft bei Cronenberg – abstrakt-graphistischen Vorspann und dem Auftritt von Mathieu Amalric als durchgeknallter Aktivist, der das 'Torten' von Finanzmagnaten und Politikern als Action Painting unserer Zeit apostrophiert. (Andererseits: Auch die im Rückblick liebenswertesten Eros-Erkrankungs-Filmdiagnosen eines Antonioni hatten ihre kunststil-, entfremdungs- und tauschabstraktionspädagogischen Momente, bei deren Bedeutsamkeit es dir die Schuhe auszieht.)
Für jene, die sich (wie ich) als Fans von Cronenberg immer wieder gut bedient und zwischendurch auch kurzfristig mal verarscht fühlen, ist der Bildungsmüll-Sprechdurchfall von 'Cosmopolis' eine zwiespältige Angelegenheit. Nicht dass Cronenbergs Filme nicht seit jeher ausgesprochen redselig gewesen wären: Das reicht von seinem Debüt 'Stereo' (1969), dessen monaurale Tonspur fast nur aus der voice over eines Klinikexperimentberichts bestand, über 'The Fly' (1985), dessen Handlung der Regisseur auf Anfrage einmal mit 'two people in a room, talking' beschrieb, bis zu seinem vorigen Film 'A Dangerous Method' (2011), einem Sprechstück über Autorität, Begehren und Projektionen aus den Anfängen der Psychoanalyse. (Sarah Gadon, die damals C.G. Jungs Gemahlin verkörperte, ist in 'Cosmopolis' als die jungvermählte Frau des Brokers zu sehen, die sich auf einigen Zwischenstopps zu sinnierenden Gesprächen mit ihrem Mann trifft. In 'Antiviral', dem Langfilmdebüt von Cronenbergs Sohn Brandon, spielt sie 2012 eine Hauptrolle.) Allerdings: In 'A Dangerous Method' ging der Anspruch der Sprechakte in die Richtung, den Spieleinsätzen der jeweiligen Zugänge von C.G. Jung, Sabina Spielrein und Sigmund Freud zum Wissenstypus und Ethos der Psychoanalyse im Format eines rührenden Beziehungsdramas gerecht zu werden, eben bis in die scharf konturierten Rededuelle hinein. (Man konnte da, schlicht gesagt, auch etwas draus lernen, und das ist nichts Schlechtes.)
Dem gegenüber frönt 'Cosmopolis' eher einer Verschwendungsökonomie der großen Worte, die folgerichtig in Entleerung mündet; solch nihilistischer Gestus – verwandt etwa jenem, mit dem 'Crash' Sexszenen bis zur Trockenlegung aller Spielfilm-Erotik akkumulierte – hat auch sein Gutes: Der Anspruch, durchs schauspielerisch-leiblich und im Alltagserfahrungsmilieu sorgfältig verkörperte Reden ließe sich eine phänomenologische Wahrheitstiefe in Sachen Wirtschaftspsychologie, Unternehmensgruppendynamik oder Karrieremoral erreichen, ein Anspruch, wie ihn zuletzt das Finanzkrisenkammerspiel 'Margin Call' erhoben hat, der wird hier beherzt fahrengelassen. All der Feuilletontalk mutiert – vermischt mit dem Flirrgitarrenambientscore von Howard Shore und der kanadischen Rockband Metric –, zu einer Art verbaler Soundscape, noch dazu in der bis zur Unbehaglichkeit im Kinosaal forcierten, äußerst ungewöhnlichen Sterilität der akustischen Atmosphäre in der gepanzerten, getönt verglasten und vor allem total schallisolierten Limousine, in deren Innenraum – alle Blasen- und Blasiertheitsmetaphorik von vornherein kurzschließend – die Hälfte des Films spielt. Ach, wie tot das tönt! Das ist Spaßverderberei auf hohem Niveau!
Es war wohl einfach wieder mal Zeit für einen Schuss ins eigene Knie auf offener Regielaufbahn. 'Crimes of the Future' (1970), 'Fast Company' (1979, ein Actiondrama über dragracing, das ebenfalls viel aus dem Daueraufenthalt im Autombil macht), 'M. Butterfly' (1993), 'Spider' (2002): Alle zehn Jahre macht Cronenberg einen Film, der ist genuin unwatchable – und das am besten mehrmals.