Valérie Donzelli erklärt dem Melodram den Krieg. Die Regisseurin, Autorin und Hauptdarstellerin von „Das Leben gehört uns“, Frankreichs Oscar-Beitrag des vergangenen Jahres, schnappt sich die denkbar tragischste Geschichte – dem kleinen Sohn eines jungen Paares wird ein Gehirntumor diagnostiziert – und wendet sie komplett auf links. Mit Hilfe von drei Off-Kommentatoren, so eklektischer musikalischer Unterstützung von Vivaldi über Morricone bis hin zu Chansons und sogar Techno, mit visuellen wie akustischen Schrullen und überbordender Energie kämpft sie gegen den unbedingten Runterzieher ihres Themas an – und verdeutlicht auf schönste Weise, dass es letztlich überhaupt nicht so sehr darauf ankommt, was man erzählt, sondern in erster Linie auf das Wie.
Die Geschichte hat sich Valérie Donzelli und Jérémie Elkaim, ihrem Co-Star und Co-Autor, aus dem realen Leben buchstäblich aufgedrängt, und wenn „Das Leben gehört uns“ möglicherweise als therapeutische Aufarbeitung gedacht war, gleicht das Endergebnis eher einem Exorzismus. Mit vereinten Kräften und der im Angesicht der Tragödie freigesetzten Energie eines kleinen Wirbelsturms erobern sich die beiden – und mit ihnen der Film – die Gestaltungsmacht über das Schicksal zurück. Selten waren Original- als auch deutscher Titel treffender.
Ausgerechnet Roméo und Juliette heißt das junge Paar, und Roméo schwant, als sie sich das erste Mal begegnen und einander vorstellen, bereits Böses. Doch die Liebe ist zu stark für einen kosmischen Witz und der Film zu exaltiert, es bei subtilen Anspielungen zu belassen. Stattdessen fährt er volles Risiko, mit Musical-Einsprengseln, wechselnden Erzählperspektiven und einer erfrischenden Respektlosigkeit gegenüber Obrigkeiten ebenso wie Konventionen. Damit schlingert er oftmals am Rande des Peinlichen, des Kitschigen oder Unangebrachten. Er ist weitgehend unstimmig und findet nie zu einer einheitlichen Linie. Und genau dafür kann man ihn liebgewinnen – und ihm dankbar sein, dass er die Spielfreude und Experimentierlust der Nouvelle Vague entstaubt und updatet, dass er dem Betroffenheits- und Gefühlsduselkino den Mittelfinger entgegenstreckt und leicht Verdauliches wie „Ziemlich beste Freunde“ mit einer gehörigen Portion Exzentrik konterkariert. Ich ziehe meinen Hut und strecke alle Waffen vor Valérie Donzelli und ihrem mutigen Film.