Auf dem steinigen Grund des Friedhofs vollführt eine Gruppe schwarzgekleideter Frauen einen Tanz aus Trauer und Schmerz. Sie beweinen ihre Ehemänner und Söhne, die dort begraben sind. Doch selbst der Tod weist ihnen getrennte Plätze zu, denn es handelt sich bei den Gefallenen um verfeindete Muslime und Christen eines kleinen libanesischen Dorfes. Aus missverständlichen oder geringfügigen Anlässen kommt es hier zwischen den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften immer wieder zu Konflikten. Das darin liegende Unbestimmte ist in Nadine Labakis neuem, tragikomischen Film „Wer weiß, wohin?“ (Et maintenant, on va où?) durchaus Absicht. Denn der dörfliche Mikrokosmos mit seinen „dunklen Schatten“ steht stellvertretend für die vergangenen und gegenwärtigen Konflikte des Landes, lässt sich aber auch universell verstehen. So sagt eine Erzählerin zu Beginn des Films, dass die folgende Geschichte ein Geschenk für all diejenigen sei, die „zwischen den Welten leben“.
Eigentlich könnte alles gut sein. Liebevoll und mit Humor zeichnet Nadine Labaki zunächst das friedliche Zusammenleben innerhalb der Dorfgemeinschaft. Schrullige Typen und burleske Späße, verträumte Musical-Einlagen und geschlechtsspezifische Rollenklischees werden dabei lustvoll gemischt und geben nicht zuletzt Auskunft über Mentalitäten. Selbst die Religionsgrenzen überschreitende Liebe zwischen der von der libanesischen Regisseurin selbst gespielten Barbesitzerin Amale und dem Anstreicher Rabih findet hier ihren romantischen Niederschlag. Doch vom Versöhnungsfest der Dorfbewohner und den bei diesem Anlass gefassten guten Vorsätzen bis zum nächsten Scharmützel vergeht nur kurze Zeit. Und als die Muslime ihre Moschee von Schweinen und anderen Tieren verunreinigt vorfinden, dauert es nicht lange, bis Hühnerblut im Weihwasser der Christen-Gemeinde auftaucht. Ohne (politische) Hintergründe zu erhellen oder zu problematisieren, geht es Labaki hier vor allem um die Dynamik der Eskalation, die bei allem Ernst immer auch ironisch betrachtet wird.
Vor allem die blindwütige Triebnatur der Männer, ihre Streitsucht und mangelnde Kommunikationsbereitschaft werden zu Symptomen dieser aggressiven Verhaltensmuster aus Gewalt und Gegengewalt. Nadine Labaki gibt sie der Lächerlichkeit preis und weist selbstbewusst den Frauen die Rolle der Friedensstifterinnen zu. Mit Mut und List, mit selbstgebackenen Haschkuchen und dem Sexappeal der russischen Tänzerinnen aus dem „Paradise Palace“ bringen sie die Männer auf andere Gedanken und in andere Zustände. Das Ablenkungsmanöver aus dem Geist der Versöhnung gelingt. Und tatsächlich ist die Welt am Morgen nach dem Rausch, als die Männer aus ihrem tiefen Schlaf erwachen, eine andere, irgendwie „verkehrte“ oder umgedrehte.