Gandu (Anubrata) ist mächtig angepisst. Er ist arbeitslos, er hat nichts gelernt und keine Freunde. Mit seiner Mutter lebt er im Haus von Dasbabu, einem Café-Besitzer, der sich seine Hilfsbereitschaft mit Sex bezahlen lässt und dem Gandu dabei heimlich Geld aus der Tasche zieht. Die Lotterielose, die er sich davon regelmäßig kauft, sind zwar immer Nieten, aber solange es mit der Rapkarriere nicht vorwärts geht, sind sie der einzige Weg zum Reichtum. Auf seinen Streifzügen durch Kalkutta lernt er Rikscha (Joyraj) kennen, einen Rikscha-Fahrer und Bruce-Lee-Fan, der Gandu mit der Sinnlosigkeit dessen Lebens konfrontiert. Ein Ausweg aus der Leere sind Drogen und Sex: Denn Gandu ist ein Wichser, wortwörtlich, und immer noch Jungfrau …
„Gandu“ – Bengalisch für „Wichser“, „Versager“, Arschloch“ – ist ein Film des indischen Regisseurs Kaushik Muherjee (der sich hier nur „Q“ nennt), aber wahrscheinlich sogar mehr als das. Wenn das Bollywood-Kino das glitzernde Gewand des indischen Kinos ist, dann ist „Gandu“ der verschwitzt müffelnde Unterleib, der sich unter dem bunten Fummel verbirgt. Mit einer handlichen Digitalkamera und einem kleinen Haufen Unerschütterlicher im Guerilla-Verfahren gedreht, ist „Gandu“ fast schon als politisches Manifest zu bezeichnen: In Indien ist er aufgrund rigider Zensurvorgaben nach wie vor verboten, obwohl er über das Internet bereits eine große Schar von Fans gewinnen konnte und auf zahlreichen internationalen Filmfestivals mit Lob bedacht wurde. Vordergründig liegt dieses Verbot in den deftigen Hardcore-Einsprengseln begründet, die auch einem westlichen Kinopublikum vor den Kopf stoßen dürften, noch mehr aber wahrscheinlich an seiner unheimlichen Energie, der Zelebrierung des Rausches und der Wut, seiner beinahe bedrohlichen Körperlichkeit, die dem bunten, flüchtigen Eskapismus des Bollywood-Kinos unausweichliche Realität gegenüberstellt. Das kontrastreiche Schwarzweiß des Films erstickt jeden Anflug von Exotismus, zeichnet die Armenviertel Kalkuttas als von Dreck und Tristesse geprägte Orte und die eine Farbexplosion, nach der man sich sehnt, gibt es in einer der erwähnten Hardcore-Szenen. Musik lädt hier nicht zum Tanzen und Mitsingen ein, sondern wird sehr offensiv und aggressiv eingesetzt: Wütend bellt Gandu seine Raps über rohen Punkrock direkt in die Kamera, die Lyrics flackern in dicken Lettern dazu über das Bild wie Propagandaslogans. „Gandu“ ist dann auch kein Film, in den man sich gemütlich hineinsinken, von dem man sich wohlig umfangen lässt, sondern dem man sich unterwirft, von dem man sich wegspülen lässt wie von einer riesigen Flutwelle. Zuerst ist er eine sinnliche Erfahrung: Ohne auf ein Drehbuch zurückzugreifen, reiht Q Bilder und Ideen in frenetischer Abfolge aneinander, lässt sie klingen, bis daraus etwas entsteht oder verwirft sie und geht zur nächsten Szene über. Da tritt er in der Mitte des Films etwa selbst auf, als Filmemacher, der einen Film über den verdutzten Gandu machen will. Und während der noch staunt, laufen bereits die Credits zu „seinem“ Film – zum zweiten Mal in „Gandu“. „Gandu“ hat dann auch kein richtiges Ende, vielmehr franst er aus, verliert sich in seinen Einfällen, die sich auch für den Protagonisten als wirklicher als die ernüchternde Realität erweisen. Für Gandu sind seine Fantasien und Tagträume allemal lebenswerter als der Alltag ohne Perspektiven.
So beschrieben ist „Gandu“ tatsächlich ein Triumph des unabhängigen Filmemachens, der erhobene Mittelfinger gegen Dienstleistungs- und Konsenskino, gegen ein Kino, das seine Zuschauer einlullt, anstatt sie wachzurütteln, das ihnen nach dem Mund redet, anstatt sie zur Reflexion zu zwingen. In dieser Hinsicht kann man ihn kaum überschätzen, muss man den Mut, aber auch die ungezügelte Kreativität des Regisseurs und seiner Mitstreiter bewundern. Auf der anderen Seite ist „Gandu“ selbst ein flüchtiges Erlebnis. Nicht, weil er sofort wieder vergessen wäre, sondern weil er eigentlich nur in der direkten sinnlichen Erfahrung Präsenz zeigt. Es gibt keine Ideen, Gedanken oder tieferen Erkenntnisse, die man aus ihm mitnehmen könnte, die sich von seinen Bildern und seinem Rhythmus ablösen, aus ihnen filtern ließen. „Gandu“ ist tatsächlich ein bisschen wie der harte, ekstatische, Körpergrenzen überschreitende, in einem befreienden Orgasmus endenden Fick: Solange er andauert, gibt es nichts Besseres, aber seine Wirkung hält nicht lang vor. Und die Realität, sie sieht danach sogar noch ein bisschen trister aus als zuvor. Vielleicht muss man „Gandu“ am besten in einer nicht endenden Dauerschleife sehen. Oder ihn in das eigene Leben hineinbluten lassen. Wir sind letztlich alle nur kleine Wichser.