1943. Deutsche Sondereinsatzkommandos treiben nackte Jüdinnen in die Wälder um Lvov, um sie dort zu töten. Als das Ghetto von Lvov geräumt wird, flüchtet sich eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Juden in die Kanalisation der Stadt, um sich dort zu verstecken. Der polnische Kanalarbeiter Leopold Socha, der sich wie kein Zweiter in der Kanalisation auskennt, wittert eine lukrative Chance zur Einkommenssicherung und bietet den Flüchtlingen an, ihnen gegen eine stattliche Entlohnung zu helfen. Socha tut dies aus rein materiellem Kalkül, antisemitisches Gedankengut ist ihm nicht fremd und gefährlich ist die Sache obendrein, denn demjenigen, der Juden hilft, droht die Exekution.
Die polnische Filmemacherin Agnieszka Holland („Hitlerjunge Salomon“, „Klang der Stille“) hält sich einiges darauf zu gute, dass sie ihr Personal als gemischte Charaktere angelegt hat. Damit meint sie, dass ihre Figuren Menschen sind, nicht nur böse Täter und edle Opfer. Im Presseheft wird sie geradezu »philosophisch«: „Wie war dieses unglaubliche Verbrechen überhaupt möglich? Wo war der Mensch in dieser Krise? Und wo war Gott? Sind diese Ereignisse und Handlungen Ausnahmen in der Geschichte der Menschheit oder zeigen sie unsere dunkle, innere Wahrheit? Betrachtet man die vielen Geschichten aus dieser Zeit, so zeigt sich eine unglaubliche Vielfalt von menschlichen Schicksalen: Mit Charakteren, die vor schweren moralischen und menschlichen Entscheidungen stehen und dabei sowohl die beste als auch die schlechteste Seite der menschlichen Natur offenbaren.“
Allerdings unterschlägt Holland, dass ihre Figuren exemplarisch für bestimmte Haltungen stehen: da gibt es den reichen assimilierten West-Juden und den orthodoxen Ost-Juden, es gibt den Juden, der bereit ist, sich zu wehren und denjenigen, der sich seinem Schicksal ergibt. Wie ein Theaterstück der fünfziger Jahre erzählt „In Darkness“ vom Holocaust anhand einer Schicksalsgemeinschaft, die in einer extremen Krisensituation Erfahrungen von Liebe, Freundschaft, Zweifel, Verrat und Ressentiments sammelt. Hier wird im Dunkeln also schwer gemenschelt. In einer Mischung aus Schulfernsehen und Daily Soap steht jede Figur und jede Szene für etwas: wenn Leopold antisemitische Vorurteile hegt, dann klärt ihn seine Ehefrau auf, dass auch Jesus Jude war, weshalb sich der Pole vom Saulus zum Paulus wandelt.
Richtig böse sind hier eigentlich nur die ukrainischen Milizen, die Jagd auf Juden machen. Holland scheut drastischen Naturalismus so wenig wie dreiste Kolportage, wenn sie erzählt, dass ein Neugeborenes getötet werden muss, weil sein Schreien die Gruppe verraten hätte. Natürlich befindet sich das Versteck direkt unter einer Kirche, was für den pathetischen Soundtrack zum fürchterlichen Geschehen sorgt. Holland taucht tief ein in die dunklen Regionen des Holocaust, will aber zugleich ein Zeichen der Hoffnung setzen, die in der menschlichen Solidarität wider alle Klassengrenzen und Konfessionen gründet. So steht ihr Film in der Tradition der Holocaust-Kolportage á la „Schindlers Liste“ und „Der Pianist“, die entschuldende Märchen vom Überleben des Genozids wider alle Wahrscheinlichkeit erzählen.
Und im Umfeld von „In Darkness“ kann man lesen, unter welch schwierigen Bedingungen gedreht wurde, um Bilder zu bekommen, die »realistisch« davon erzählen, wie es sich anfühlt, länger als ein Jahr unter ständiger Todesgefahr in einer Kanalisation, in Dunkelheit, Gestank und Feuchtigkeit zu überleben. Den Realismus des Re-Enactments von Unbeschreiblichem zu behaupten, ist allerdings mehr als nur geschmacklos, sondern führt zum Punkt, wo gerade die Behauptung der Darstellbarkeit das Verbrechen des Holocaust verharmlost. Und deshalb wollen wir wirklich nicht hören, welchen Schwierigkeiten die Kostümbildnerin („Kalter Wind, Luftfeuchtigkeit und Lichtmangel für Stunden sind unvergessen.“) und der Produktionsdesigner („Die Hauptanforderung an das Setdesign war seine Wasserfestigkeit.“) bei ihrer Arbeit am Realismus begegneten. Und wir wollen auch nicht die Schauspieler in Talkshows darüber schwadronieren hören, dass das Geschehen ja eigentlich unvorstellbar sei und mit welchen Strapazen die Dreharbeiten verbunden waren.
Dass „In Darkness“ nun auch noch als polnischer Kandidat ins Rennen um die „Oscars“ geschickt wird, ist zudem ein Affront gegenüber dem polnischen Regie-Altmeister Andrzej Wajda (bei dem Holland einst als Regisassistentin ihre Karriere begann), der bereits in den fünfziger Jahren mit „Der Kanal“ eine durchaus vergleichbare Geschichte künstlerisch und moralisch integer verfilmt hat.