Der Däne Nicolas Winding Refn ist so etwas wie der Transzendentalist unter den Action-Regisseuren. Bei Refn ist Aktion kein Resultat von Kinetik sondern von reiner Konzentration; er beschleunigt nicht Objekte, seine Filme durchdringen vielmehr durch Beschleunigung Bewusstseinszustände. Schon sein Wikinger-Film „Valhalla Rising“ hätte Terrence Malick gut zu Gesicht gestanden. „Drive“, seine erste Arbeit in Hollywood, überführt diesen Manierismus nun auf nahezu perfekte Weise in schönste Genre-Formen. Refn weiß den Pulp-Gehalt seines Films richtig einzuschätzen. Die Roman-Vorlage von James Sallis war eine schnörkellose Crimestory, die Introspektion eines einsames Großstadtwolfes, der sich neben seinem Job als Stuntfahrer ein Zubrot als Fluchtfahrer für Überfälle verdient. In den fünf Minuten, die er mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Nacht rast, sind die Kriminellen dem Driver und seinen Fähigkeiten hilflos ausgeliefert. Dieses Ausgeliefertsein ist der Modus Operandi von Refns Film. Als Zuschauer ist man dem Regisseur ebenso augeliefert, seinen schamlosen 80er-Jahre-Referenzen (angefangen bei den pinken Miami Vice-Titeln bis hin zum SynthiePop/Electro-Soundtrack), aber mehr noch der kühlen Romantik des Drivers (Ryan Gosling, schon wieder in einer Paraderolle), in dessen schüchternem Blick die Umwelt langsam zu verschwimmen scheint, je mehr er in der Realität ankommt.
Auslöser ist seine hübsche Nachbarin (Carey Mulligan) und ihr kleiner Sohn, zu dem der schweigsame Driver vorsichtig Kontakt aufnimmt. Gosling spielt im Grunde einen Archetypen des Männerkinos, ein unverhohlenes Zitat von Walter Hills „The Driver“, der eine ähnliche Geschichte erzählte. Aber auf die Geschichte kommt es Refn gar nicht so sehr an (das einzig Enttäuschende vielleicht), es geht immer nur um Fortbewegung und Durchdringung. Das Verschmelzen von Raum und Zeit: wenn Irene bei einer gemeinsamen Nachtfahrt kurz die Hand des Drivers berührt, während draußen das neonerleuchtete Los Angeles vorbeizieht. Oder der unendliche Kuss im halbdunklen Fahrstuhl, der in einem beispiellosem Gewaltexzess kulminiert. Gewalt erdet alle Figuren Refns, aber mit „Drive“ hat man erstmals das Gefühl, dass sie darüber hinaus noch etwas motiviert. In Goslings meist unergründlichem Gesicht deutet sich das einmal an, als er das Ausmaß seines Handelns begreift. Er sieht, was Irene sieht: namenloses Entsetzen. Und in seinem hilflosen Gesicht zeichnet sich für den Bruchteil einer Sekunde die schmerzvolle Erkenntnis ab, dass er niemals ein anderer sein kann. Bevor sich die Tür zwischen den beiden schließt.
Dieser Text erschien zuerst in: Pony #70