Durchs Dunkel der Nacht geht die Fahrt der kleinen Autokolonne, was die Identifizierbarkeit auf allen Seiten erschwert. Lange weiß man nicht so genau, wer spricht und was das Motiv dieser merkwürdigen Suchbewegung ist, die sich in den Lichtkegeln der Autoscheinwerfer vollzieht und von einem milden Vollmond beschienen wird. Weit über die Hälfte von Nuri Bilge Ceylans bemerkenswertem Film „Once upon a time in Anatolia“ spielt in der Nacht, in einem Zwischenreich aus Licht und Schatten, und ist allein deshalb schon außerordentlich. Eine polizeiliche Ermittlung wird durchgeführt. Unter Mithilfe der beiden Täter sucht die Gruppe nach dem Bestattungsort eines Mordopfers. Doch die Erinnerung trügt, die Orientierung fällt schwer und Alkohol und Müdigkeit vernebeln die Sinne. Als handle es sich beim Gesuchten um ein Phantom, landet die Gruppe immer wieder am falschen Ort.
Tatsächlich beschreibt Ceylan mit existentialistischem Unterton eine absurde Situation: den Leerlauf der schieren Bewegung, das ungewisse Warten und das Herumtappen im Dunkeln. Hunger und zunehmender Stress, Frust und Aggressionen zehren an der fragwürdigen Unternehmung. Und so vertreiben sich die Protagonisten, unter anderen ein Gerichtsmediziner, ein Staatsanwalt und ein Polizeichef, die Zeit mit Geschichtenerzählen. Doch in die harmlos und witzig erscheinenden Gespräche über alltägliche Begebenheiten und Sorgen mischt sich immer wieder das unglückliche Bewusstsein der Figuren, das von Schuldgefühlen, gescheiterten Beziehungen und einer allgemeinen Sinnkrise genährt wird. Die groteske Suche nach der Leiche, flankiert von schwarzem Humor, spiegelt gewissermaßen ein Unbehagen an der Welt und das vergebliche Streben nach einem Sinn.
Die Blätter der Bäume rascheln im Nachtwind, der ewige Atem der Natur legt sich über die Szenen der Vergänglichkeit und erzeugt immer wieder Kontraste zwischen Leben und Tod. Einmal fällt ein Apfel von einem Baum, kullert in ein schmales Flüsschen, treibt eine Zeitlang in der schwachen Strömung und strandet schließlich auf einer kleinen Sanddüne neben anderen Äpfeln. Es ist dies eine jener poetischen Sequenzen in Ceylans Film, in denen sich metaphorisch ein melancholisches Lebensgefühl verdichtet.
In einer anderen, der vielleicht schönsten Szene des Films, sitzen die Ermittler beim Nachtmahl in der Unterkunft eines Bürgermeisters, als plötzlich das Licht ausfällt. Eben noch hatte der Vorsteher des kleinen Ortes über die Probleme bei der Finanzierung einer neuen Leichenhalle geklagt; jetzt bekommt er von seinen Gästen zur Antwort, dass es wohl dringlicher sei, ins Stromnetz zu investieren. Als auf Geheiß des Gastgebers die junge Tochter des Hauses jedem einzelnen der Männer Tee bringt, erleuchtet das schwache Licht einer Petroleumlampe immer wieder für Augenblicke ihr Gesicht. Dabei wird dessen Staunen auslösende, fast überirdische Schönheit für die Anwesenden zu einer Epiphanie aus Trost und Hoffnung. In diesen wenigen Momenten vertreibt das Licht die Finsternis und mit ihr die Schatten aller Zweifel. Etwas verändert sich, bevor alles weitergeht.