Ein wenig altersmilde sind sie schon geworden, die großen Regisseure des Weltkinos im Jahr 2011. Sei es Martin Scorsese, der mit „Hugo Cabret“ seinen ersten Kinderfilm dreht, Woody Allen mit seinem touristisch-gefälligen „Midnight in Paris“, Aki Kaurismäki mit seiner wundersamen Warmherzigkeit in „Le Havre“ oder Steven Spielberg mit seinem hemmungslosen Pathos in „War Horse“. Auch die Dardennes, belgische Wahlverwandte des britischen Sozialrealismuskinos à la Ken Loach und Mike Leigh, haben die unbarmherzige Härte ihrer Meisterstücke „Der Sohn“ (2002) und „Das Kind“ (2005) ein wenig zurückgefahren und bieten in ihrem neuesten Werk „Der Junge mit dem Fahrrad“ Raum für Hoffnungsschimmer, für Solidarität, gar für Liebe.
Dabei beginnt alles ganz bitter für den 12-jährigen Cyril, einem fast prototypischen Dardenne-Charakter – die Mutter ist verschwunden, der Vater hat ihn in einem Heim zurückgelassen und jeglichen Kontakt abgebrochen. Aber Cyril ist ein Kämpfer, zunächst um sein geliebtes Fahrrad, dann um die Gunst seines Vaters, den er mit seiner ganzen Hartnäckigkeit doch ausfindig macht, aber seine Zuneigung erzwingen kann er dann doch nicht.
Wie Cyril und die Friseuse Samantha, die sich aus zunächst nicht nachvollziehbaren Motiven fortan um den Jungen kümmert, sich schließlich annähern, sich gegenseitig akzeptieren und Vertrauen aufbauen, ist so entwaffnend selbstverständlich erzählt, dass die beeindruckende Präzision der Dramaturgie fast mühelos erscheint. Das Glück währt jedoch nur kurz, Cyril gerät auf die schiefe Bahn und setzt dabei auch die einzige funktionierende Beziehung in seinem Leben aufs Spiel – und auch Samantha offenbart die Abgründe hinter ihrer Maske der guten Fee. Und dennoch, die Chance, dass alles gut ausgehen könnte, dass es wirkliche Perspektiven für die Zukunft gibt, das ist neu im Oeuvre der Dardennes.
Mit genauem Blick rücken sie zwar einmal mehr die Menschen am Rande der Gesellschaft in den Fokus, bewegen sich aber – anders als zuletzt in ihrer bitteren Asylgeschichte „Lornas Schweigen“ – ein wenig auf die Mitte zu. Und mit der populären Cécile de France erlauben sie sich erstmals einen Star in ihren Filmen. Eine Sympathieträgerin, die ihren düsteren Kosmos aufhellt und möglicherweise nachhaltig verändert – so wie Samantha Cyrils vernarbten Panzer aufzubrechen versteht, mit ihrer Beharrlichkeit und Geduld und einer gehörigen Portion Charme.