Leonardo Di Caprio nähert sich mehr und mehr Orson Welles an; nicht nur wegen des scheinbar harmlosen Babyface, hinter dem sich die Subtexte aufstauen, nicht nur, weil er einige wellessche Manierismen in sein Spiel aufgenommen hat. Die Ähnlichkeit, die Analogie zeigt sich auch und gerade in der Maske des alten Mannes – zwischen dem gealterten J. Edgar Hoover und dem gealterten Kane ist nicht viel Unterschied, maskentechnisch, äußerlich wie auch inhaltlich. Wie Citizen Kane erhebt sich Hoover zum selbsternannten ersten Bürger der Staaten und muss trotz seiner Errungenschaften, trotz allem, was er aufgebaut hat, worauf er stolz ist, unerfüllt sterben, menschlich, sozial, an sich selbst gescheitert.
Die glänzende Karriere und die Macht, die dämonische Mutter und die unerfüllte Liebe, die vollkommene Hingabe an die Berufung und die damit einhergehende Einsamkeit: Clint Eastwood hat alle Elemente versammelt, die für die Dramaturgie eines Biopics wichtig sind, ordnet die Schlüsselelemente eines Lebens geschickt, gibt die großen Linien wieder und spiegelt sie in symbolischen Details, inszeniert die einzelnen Stationen pointiert und mit stetem Widerhall im großen Ganzen – was den Filme auf den ersten Blick den Anschein solider, professioneller, aber auch etwas biederer Konventionalität verleiht. Doch tatsächlich geht Eastwood geschickter vor – anderes wäre auch kaum von ihm zu erwarten gewesen. Dass als Rahmen des Films John Edgar Hoover diversen PR-Kräften des FBI seine Memoiren diktiert, ist mehr als ein Aufhänger für die filmische Aufarbeitung der Biographie eines der mächtigsten Männer der US-Geschichte. Raffiniert nutzt Eastwood die doppelte Erzählebene, um eine Erzählung über das Erzählen selbst einzuflechten.
Die wichtigen Punkte aus Hoovers Leben werden von ihm selbst erzählt, aus seiner Perspektive, im steten Bemühen, den eigenen Mythos auf Papier festzuhalten, für die Ewigkeit festzuschreiben. Und Eastwood erzählt so nicht nur die Biographie, nicht nur den Mythos, sondern auch das Making of. Die Dramaturgie des Films wird zu einem guten Teil von Hoovers Dramaturgie seiner Memoiren bestimmt, die auf Wirkung, auf Selbstüberhöhung setzt. Die deshalb am Anfang auf die Kraft des Geheimnisses um einen aufstrebenden jungen Mann setzen, und die Hoover im Augenblick seines größten Triumphes für vollendet erklärt. Subtil-ironisch lässt sich Eastwood auf dieses hooversche Konzept ein, um damit dessen Selbsterklärung zu brechen; was in einer Szene gegen Ende kulminiert, als einiges von dem, was zuvor gezeigt wurde, als Übertreibung, als Lüge entlarvt wird.
Der selbstgeschaffene Mythos, die Selbststilisierung, die Neuerfindung des eigenen Ich, die Hoover betreibt, sind direkt verknüpft mit seiner Persönlichkeit, damit mit seinen Taten, damit mit seinem Ruf. Hoover ist der, der Law and Order in den USA durchgesetzt hat, durch die Professionalisierung des FBI, durch Durchsetzung kriminaltechnischer Methoden wie Beweissicherung am Tatort, Fingerabdruckkartei, Laboruntersuchungen. Und er ist ein paranoider Kontrollfreak, der ohne Schranken an der Spitze eines selbstgeschaffenen Überwachungsstaates im Staate steht. 48 Jahre war er der Chef des FBI, der Bundespolizeibehörde, die mehr und mehr zum spionierenden Inlandsgeheimdienst wurde; acht Präsidenten hat er erlebt, und er hat ihre Politik kontrolliert. Information ist Macht, katalogisierte Karteien über die Verbrechers des Landes – zu denen potentiell jeder gehören konnte – sind Teil dieses Systems ebenso wie die Geheimakten, die er über allerlei prominente und politische Akteure anlegte. Und die er gezielt einsetzte für die Sache, die er für die richtige hielt.
In Schlaglichtern beleuchtet Eastwood die Karriere, ausgehend von Hoovers Memoirendiktat und ergänzt durch die Szenen, die hinter Hoovers Fassade blicken. Und die ihm doch das notwendige Geheimnis lassen, das ihn als Filmfigur interessant hält: Eastwood erzählt die Figur und ihre Geschichte nie aus, belässt es in einigen Dingen in Andeutungen – Stichwort Transvestizismus.
Dabei hat jede Szenen eine bestimmte Funktion, oder auch zwei oder drei. Wo Eastwood die Selbsterzählung Hoovers schildert, da inszeniert er stets auch eine zweite Sicht, eine eigene Facette mit: eine subtile Vielschichtigkeit, die jeder Szene ihre Pointe gibt, auch ihre ganz eigene Ironie. Wie Hoover nonchalant gegenüber Robert F. Kennedy, damals im Amt des Generalstaatsanwaltes, zu verstehen gibt, belastendes Material gegen dessen Bruder, den Präsidenten, in der Hand zu haben; und wie er nebenbei mehr und bessere Befugnisse gegen die Bedrohungen für das Land, für die Repräsentanten des Staates fordert: ein übler Erpressungsversuch, gerichtet gegen bestimmte liberale Kräfte in USA – bei dem er dann doch recht behalten wird, auf eine ganz andere Weise. Von den Schüssen in Dallas erfährt er dann beim Abhören eines einschlägigen, geheimen Tonbandes – eine Verdichtung von Gegensätzlichem, wie sie typisch ist für diesen Film über einen Protagonisten der gelebten Gegensätzlichkeit. Hoover ist ein Meister der manipulativen Freundlichkeit, der charmanten Nötigung im Dienste der guten Sache – im Dienste dessen, was er als einzig gute Sache erkannt hat: für die Anständigkeit in Amerika, gegen jeden Radikalismus, ob Bolschewisten, Gangster oder Bürgerrechtler; wobei die Definition der Kriterien, was anständig und was radikal ist, selbstverständlich bei ihm liegt.
Eastwood weiß, was er wie erzählen muss: wie sich die Geschichte wiederholt, wenn wieder ein Autokorso mit dem neuen Präsidenten vor Hoovers Fenster vorbeizieht, wenn er wieder in dessen Vorzimmer warten muss. Das Treffen selbst zeigt Eastwood nicht, aber zugespitzt dessen Auswirkungen – entweder mehr Macht für das FBI (und damit für Hoover), oder die Bedrohung des Untergangs. Denn mit Nixon, das weiß Hoover genau, ist ihm ein Konkurrent in Sachen Kontrollparanoia gewachsen, einer, der aus ähnlichem Holz geschnitzt ist …
Drehbuchautor Dustin Lance Black hat mit „Milk“ (Regie: Gus Van Sant) schon bewiesen, dass er sich auf die Biographie schwuler Politiker versteht – und liefert jetzt das Gegenstück zum von Sean Penn gespielten Vorreiter der Gleichgeschlechtlichkeit. Triebunterdrückung, Selbstverleugnung, vollkommene Disziplin, komplette Hingabe an das Amt und Aufgabe des eigenen Ichs sind die Triebfedern für Hoovers Leben. Dass er an seiner Mutter hängt, dass er nicht tanzen mag, schon gar nicht mit Frauen, dass er nur zwei Personen vertraut und sich keinerlei Privatleben, keinerlei Geselligkeit leistet: die Impulse für sein Leben und Denken kommen aus dem Verzicht, Kraft erwacht ihm aus dem Fehlen. Eastwood erzählt nicht wie andere Biopics, die sich um Hoffnung, Zuversicht und Feelgood des Zuschauers kümmern, vom Aufbau der eigenen Kraft und von der Selbstfindung; Eastwood erzählt von Abbau und Selbstverlust.
Die Sekretärin Helen Gandi ist seine Vertraute, ihr hat er mal einen unbeholfenen Heiratsantrag gemacht, stilecht in seinem bibliothekarischen Archiv; und als sie ablehnte, gab er ihr als Liebesersatz eine Arbeitsstelle. Clyde Tolson: mit ihm ist es Liebe auf den ersten Blick, eine Liebe, die sich nie entfaltet, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Naomi Watts spielt glänzend, ebenso wie DiCaprio – was sich besonders heraushebt im Vergleich zu Armie Hammer, der es manchmal etwas übertreibt – und dem als einzigem die Altersmaske nicht richtig stehen mag.
Doch wie schön herausgespielt ist die Szene zwischen Tolson und Hoover im Hotel, beim gemeinsamen Urlaub, im gemeinsamen Zimmer: wie sie sich über Stil und Mode unterhalten, wie dem eine Liebeserklärung folgt und ein heftiger Beziehungsstreit, wie sich dann zwei Männer, die auf Gedeih und Verderb fürs Leben zusammengehören, sich auf dem Boden wälzen, im Kampf innig umschlungen … wie das Platonische ihrer Liebe sich beinahe auflöst …