Die Scheibe, durch die die Kamera blickt, ist im Kino schon immer ein Mittel der Distanzierung gewesen. Ob das nun das Fenster zum Hof in den „120 Tagen von Sodom“ ist, wo sich unten Unglaubliches abspielt, und was durch die Kameraperspektive ferngerückt, gerahmt und somit ästhetisiert wird. Oder ob Christoph Hochhäuslers Film „Unter dir die Stadt“ mit einem solch beobachtenden, bildgestalterischen Ästhetisierungsprozess beginnt: Im Blick die Glasfront des Hochhauses, deren Durchlässigkeit schemenhaft zu ahnen ist, jedoch durch Schwenk und Überblendung die Transparenz verliert. Man sieht hindurch und sieht zugleich doch nichts. Diese Taktik des Zeigens und der Bildverweigerung, die hier in eins fallen, wendet Hochhäusler mehrfach an in einem Film, der seinen locus amoenus ausgerechnet in der Frankfurter Bankenwelt verortet.
Man könnte aber auch ganz anders anfangen von diesem Film zu berichten. Mit Fokus auf die Figuren etwa: da ist die mit einem Banker verheiratete Svenja (Nicolette Krebitz), die nach dem Umzug aus Hamburg sich in Frankfurt einzuleben hat. Sie ist eine mysteriöse Frau, ein bisschen verloren und irgendwo zwischen der Sprachverweigerung einer verstockten Berliner Schule-Protagonistin und einer Heldin der Nouvelle Vague positioniert. Anbetungswürdig, diese smart durchgeknallte sexyness, die vor allem deswegen aufscheint, weil die Frau Charme hat und Ausstrahlung und auf jede Form des Hochglanzstylings verzichtet. Diese lässt sich ausgerechnet auf eine Affäre mit Robert (Robert Hunger-Bühler), einem Vorstandsmitglied der Firma ihres Gatten, ein. Ein Erfolgsmensch, Banker des Jahres, ein Player im Machtgefüge des großen Finanzschachspiels. Um an die Frau heranzukommen, schickte er, wie in der biblischen Geschichte von David und Batseba, Svenjas Ehemann an die Front nach Indonesien. Verkauft als Karrieresprung – und verheimlichend, dass dessen Vorgänger ebendort entführt und gefoltert, mit abgehackten Händen aufgefunden worden ist. Was sich also zunächst als Amour Fou mit einer starken, weil undurchsichtigen Protagonistin darstellt, erfährt im Laufe des Films eine Neubewertung. Die Fäden hält Robert in Händen, der rücksichtslos seine Ziele verfolgt.
Was also die Macht zusammenhält, das sind die Seilschaften einer sterilen Männerwelt, die Hochhäusler vor allem beim Essen in einem vollverglasten Loftrestaurant darstellt. Immer wieder ist die Kamera ganz dicht dabei und wirft dem Zuschauer ein paar Informationen hin, der dann den Plot, wie in einem Krimi, selbst zusammenbauen darf. Glücklicherweise arbeitet Hochhäusler mit etlichen Leerstellen, Ellipsen und Sprüngen, und verfällt nicht in die allzu gängige Praxis derer, die ihren Zuschauern nichts zutrauen und glauben, alles in Linie stellen und zwanghaft erklären zu müssen.
Einer, der sich nie erklärt, ist Roland Cordes. Ein Banker mit einer steilen Karriere und der es ganz nach oben geschafft hat. Der keinen Blick mehr für den Wert von Dingen übrig hat. Für die Kunst in seinem Büro, für die Musik in seinem Zuhause, der den Respekt vor dem Menschen verloren hat. Und den allein die Manieren daran hindern, selbst denen, die ihm am nächsten stehen, zu sagen, sie könnten ihm gestohlen bleiben. Wenn es nicht mehr weiter nach oben geht, dann bleibt einem nur noch der Blick nach unten. Unter dir die Stadt. Und überraschenderweise schließt Hochhäusler seinen Film mit einer Szene, die wieder zum Anfang des Films zurückführt: mit einem Blick der Protagonistin von oben durch ein Fenster hinab auf die Straße. Doch dort rennen urplötzlich die Menschen wie in Panik durcheinander. Es bleibt offen, ob das nun der große Börsencrash ist oder eine Zombie-Apokalypse. Diejenigen jedoch, die immer oben alleine am Fenster stehen, die müssen gewaltig einsam sein.