Island of Lost Souls

(USA 1932; Regie: Erle C. Kenton)

Breaking the Law

„Are we not men?“ – „Sind wir nicht (auch) Menschen?“: Das ist die Frage, die sich die Tiermenschen in Erle C. Kentons Verfilmung von H. G. Wells‘ Roman „The Island of Dr. Moreau“ in einem mantraartigen Gesang immer wieder selbst stellen. Eine Frage, die jedoch keiner Antwort bedarf: Schon im Akt des Sich-selbst-Hinterfragens offenbaren die geschundenen Kreaturen eine Menschlichkeit, die ihrem Schöpfer, dem größenwahnsinnigen Wissenschaftler Dr. Moreau, längst abhanden gekommen ist.

Der Schiffbrüchige Edward Parker (Richard Arlen) wird von einem Frachtschiff aufgesammelt, das mit einer Ladung wilder Tiere unterwegs zu einer kleinen Südseeinsel ist, auf der ein gewisser Dr. Moreau (Charles Laughton) seinen Experimenten nachgeht. Auf der Insel angekommen, fallen Parker die merkwürdig missgebildeten Menschen auf, die ihn aus dem Dickicht beobachten und die Moreau als „Eingeborene“ bezeichnet. In Wahrheit handelt es sich jedoch um Tiere, denen Moreau mittels chirurgischer Eingriffe zum Sprung auf die nächste Evolutionsstufe verholfen hat: Er hat Halbmenschen aus ihnen gemacht, die er nun mittels eines eigens verfassten Gesetzes, das der „Sayer of the Law“ (Bela Lugosi) verkündet, unter Kontrolle halten muss. Um herauszufinden, wie gut die Transformation von Tier zu Mensch tatsächlich funktioniert hat, kommt ihm Parker gerade recht. Er stellt ihn der Pantherfrau Lota (Kathleen Burke), der Krone seiner Schöpfung, vor und hofft, dass ein erotischer Funke zwischen ihnen überspringen möge …

„Island of Lost Souls“ ist die erste von bislang vier offiziellen (und zahlreichen inoffiziellen) Adaptionen des Wells-Romans und sehr wahrscheinlich auch die beste, weil sie den humanistischen Kern des Ausgangsstoffes vollkommen freilegt. Konzentrieren sich die Verfilmungen von 1977 ('Die Insel des Dr. Moreau', Don Taylor) und 1996 ('D.N.A. – Experimente des Wahnsinns', John Frankenheimer/Richard Stanley) sehr stark auf eine „realistischere“ (sprich: zeitgemäße) Darstellung der Tiermenschen und stellen sie damit einhergehend einen engen Bezug zu den zweifelhaften Errungenschaften der Genforschung her, entfaltet Erle C. Kentons Film ein größeres allegorisches Potenzial. Weil die lautlos-schattenhaft umherhuschenden und mit geweiteten Augen aus dem Busch glotzenden Tiermenschen eher an ihr eigenes Schicksal betrauernde Geisterwesen als an die Resultate missglückter naturwissenschaftlicher Experimente erinnern und Moreaus Erklärungen seiner Methode so vage bleiben, dass sie mehr an Zauberei als an Wissenschaft denken lassen, tritt auch die postdarwinistische Wissenschaftskritik gegenüber der allgemeineren Frage in den Hintergrund, was den Menschen eigentlich zum Menschen macht, ihn mithin vom Tier unterscheidet. „Island of Lost Souls“ belegt, dass mit der Vernunftbegabung des Menschen auch die fatale Fähigkeit einhergeht, sich gegen die eigene „Natur“ zu verhalten.

Das Menschsein ist für Moreau vor allem eine biologische, aber auch eine teleologische Disposition: Der Mensch ist der Endpunkt natürlicher Evolution, das Ziel, auf das die Natur unweigerlich zuläuft, wenn man sie ungehindert sich entfalten lässt. Das Tier ist nur eine Vorstufe zum Menschen. Moreau hat mithilfe der Vivisektion eine Abkürzung gefunden, eine Möglichkeit, den Prozess der Evolution zu beschleunigen. Doch seine Tiermenschen sind fehlerbehaftet: Die ganz missglückten Fälle verrichten für Moreau niedere Sklavenarbeit, die gelungeneren irren ziellos durch den Urwald, nicht wissend, was sie eigentlich sind. Das Gesetz soll sie an ihre von Moreau behauptete Menschlichkeit erinnern, vor allem aber unter Kontrolle halten. Verstoßen sie gegen das Gesetz und begehren sie gegen ihren Meister auf, werden sie wie Tiere behandelt und im „House of Pain“, Moreaus Operationssaal, einer grausamen Bestrafung unterzogen. Seine Kreaturen zerbrechen vor allem an dem Widerspruch zwischen ihrer äußeren Körperhülle und ihrem Inneren, der Unvereinbarkeit ihres natürlichen Triebs mit der ihnen oktroyierten Zivilisiertheit. Für Moreau ist das alles eins: Weil er den Menschen ausschließlich biologistisch definiert, kann er die Tiermenschen einerseits per Gesetz für ihre Unzulänglichkeiten knechten und andererseits der Pantherfrau, seinem avanciertesten Geschöpf, eben jene Menschlichkeit absprechen, wenn ihr Körper sich immer wieder zurückentwickelt. Der moralische Kompass, der den Menschen eigentlich auszeichnet, ist ihm völlig abhanden gekommen, er ist seinen Kreaturen näher, als er glaubt und wird von ihnen am Ende konsequenterweise genau jener Behandlung unterzogen, die er ihnen hat angedeihen lassen.

Die Annäherung von Mensch und Tier bzw. Natur und Zivilisation und die sich langsam vollziehende Umkehrung des Verhältnisses der beiden findet nicht nur Niederschlag in den auch heute noch überzeugenden, weil sparsamen Masken, sondern vor allem in den Settings: Moreaus Anwesen ist halb vom Urwald überwucherter Tempel, halb Bauhausvilla – die Grenzen zwischen drinnen und draußen sind fließend. Die unheilvollen Schattenwürfe des Urwalds vor der Tür finden ihre Entsprechung im auch im Inneren vorherrschenden Chiaroscuro, statt Fensterscheiben gibt es Eisenstangen und man fragt sich unweigerlich, ob die dazu da sind, die Tiermenschen draußen oder Moreau drinnen zu halten. Von der Tonspur erklingt keine Musik, die emotionale Orientierung böte, „Island of Lost Souls“ wird fast ausschließlich bestimmt von der Klangkulisse der Wildnis, die auch seine Protagonisten befällt: Wenn Parker seiner Begierde erliegt und die Pantherfrau Lota küsst, erkennt er auch, wie fragil das Konzept der Zivilisiertheit tatsächlich ist, wie leicht die Ratio wegbrechen kann, wie wenig stabil der Mensch in sich ist. Moreau hat sich deshalb entschlossen, den Unterschied mit Gewalt zu zementieren: Immer wenn er sich der Siedlung seiner Kreaturen nähert, von einer kleinen Anhöhe zu ihnen spricht, hebt die Kamera an, um über ihn hinweg auf die Tiermenschen zu seinen Füßen zu schauen. Wie ein strafender Gott schwingt er die Peitsche über ihren Köpfen. Doch man spürt, dass die Hierarchie, die Moreau etabliert hat, auf tönernen Füßen steht. „The natives are restless“ heißt es in einer berühmten Zeile des Films und das bietet dann auch den Ansatz für eine mögliche engere Interpretation: Es ist unverkennbar, dass Moreau Vertreter eines chauvinistischen Kolonialismus‘ ist, wie er 1932 noch gang und gäbe war. Wenn er sich mädchenhaft-verzückt auf einem Operationstisch niederlässt, die Beine übereinanderschlägt und verspielt ausstreckt, ein freches Grinsen im wohlgenährten Gesicht, dann kommen die ganze Dekadenz und Unverfrorenheit seines Charakters, aber auch eine sexuelle Verdrehtheit zum Vorschein. Es ist die Fratze des Technokraten, für den allein die Machbarkeit entscheidet, der die Unterlegenen knechtet und sich selbst verabsolutiert. Ein Mann des 20. Jahrhunderts.

Erle C. Kentons Film wurde von Karl Struss fotografiert, der unter anderem an Murnaus „Sonnenaufgang“ und Chaplins „Der große Diktator“ beteiligt war. Es ist auch seine Fotografie, die „Island of Lost Souls“, der nach seiner Veröffentlichung in mehreren Ländern – etwa in Großbritannien – verboten worden war, auf eine Stufe mit den großen Klassikern des Horrorfilms wie Whales „Frankenstein“ (1931) und „ Frankensteins Braut“ (1935) oder Brownings „Dracula“ (1931) und „Freaks“ (1932) hebt. Nicht unerwähnt bleiben sollten auch Charles Laughton, dessen fassettenreiches Spiel seinen Dr. Moreau zu einer der interessantesten Schurkenfiguren des Horrorkinos macht, sowie die ausgezeichneten Masken und die pointierten Dialoge, bei denen das, was nicht gesagt wird, mindestens genauso wichtig ist wie das, was gesagt wird – eine Kunst, die heute leider verlorengegangen scheint. Criterion hat (Horror-)Filmfreunden mit der wie immer hervorragend ausgestatteten RC-1-DVD dieses seltenen Films einen großen Dienst erwiesen. Wer der englischen Sprache mächtig ist, kommt an dieser Veröffentlichung nicht vorbei.

Benotung des Films :

Oliver Nöding
Island of Lost Souls
(Island of Lost Souls)
USA 1932 - 70 min.
Regie: Erle C. Kenton - Drehbuch: Waldemar Young, Philip Wylie - Bildgestaltung: Karl Struss - Musik: Arthur Johnston, Sigmund Krumgold - Verleih: The Criterion Collection (USA) - Besetzung: Charles Laughton, Richard Arlen, Leila Hyams, Bela Lugosi, Kathleen Burke, Arthur Hohl, Stanley Fields
Kinostart (D): 30.11.-0001

DVD-Starttermin (D): 25.10.2011

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0024188/
Link zum Verleih: http://www.criterion.com/films/27861-island-of-lost-souls