Die „Lincoln-Verschwörung“ wurde von The American Film Company produziert. Laut ihrem Motto „Witness History“ hat sich die 2008 gegründete Firma das Ziel gesetzt, amerikanische Historie filmisch fürs Heute erlebbar zu machen. Dass gleich für die erste Produktion Robert Redford als Regisseur engagiert werden konnte, ist ein toller Coup. Denn es ist klar: Er hat die Erfahrung, eine vergangene Epoche wieder aufleben zu lassen; und er hat die Persönlichkeit, den Charakter, das Bewusstsein, Geschichte für die Gegenwart relevant zu machen.
Redford erzählt vom Prozess gegen die Verschwörer, die 1865 Präsident Lincoln ermordet haben, und die Geschichte einer Verschwörung von Südstaatler-Extremisten, die nicht nur den Präsidenten, auch den Außenminister und den Vizepräsidenten beseitigen wollten, mithin nach der Niederlage im Bürgerkrieg einen Racheakt, einen Staatstreich ausübten. „The Conspirator“ lautet der Originaltitel, er bezieht sich auf die angeklagte Mary Sutton, in deren Pension sich die Verschwörer zur Ausarbeitung ihrer Attentatspläne getroffen hatten. Er kann aber auch auf ihren Anwalt Frederick Aiken verweisen, der als Verteidiger einer Staatsfeindin selbst in den Ruch des Landesverrats gerät. Oder auf ihren Sohn John Sutton, der auf der Flucht ist, der unzweifelhaft Teil der Verschwörerbande war – und für den die Mutter vor Gericht büßen soll. Weil irgendjemand auf jeden Fall verurteilt werden muss.
Es ist ein Militärgericht, vor dem das Verfahren abgewickelt wird, mit Nordstaaten-Generälen als Geschworene, die über eine des Hochverrats, des Präsidentenmords angeklagte Südstaatlerin urteilen. Der Richter ist ein General, der Ankläger die rechte Hand des Kriegsministers. Der Angeklagten werden Rechte entzogen – einen Anwalt darf sie erst einen Tag vor dem Verfahren hinzuziehen, die Liste der Beweismittel und Zeugen der Anklage werden vorenthalten, Zeugen der Verteidigung mit Strafandrohungen eingeschüchtert; jeder Einspruch des Verteidigers wird abgelehnt. Ein politischer Prozess ist das, ein Schauspiel, eine Farce, das wird von Anfang an deutlich gezeigt – da hätte es den Kriegsminister kaum gebraucht, der in einer Szene deutlich sagt, dass er einen schnellen, harten Prozess will, und dass es ihm um den inneren Frieden geht, auch um Rache, mit allen Mitteln; dass es ihm egal ist, wer hängt: Mary oder ihr Sohn John.
Die Parallelen sind unübersehbar: Guantanamo steht im Hintergrund, die Formel von den feindlichen Kombattanten, denen gegen jedes Recht ein ziviler Prozess vorenthalten wird. Immerhin ist Mary Sutton gar noch praktizierende Katholikin, gehört also einer „fremden“ Religion an – ihr Pater versteckt den Sohn, den Mit-Attentäter, das ist zwar illegal, für ihn steht das Gesetz jedoch ausschließlich in der Bibel. Wenn auch die Entsprechungen überdeutlich sind: Redford ist klug genug, sich nicht zum Unterkomplexen hinziehen zu lassen, nicht einfach nur mittels eines historischen Gleichnisses didaktisch die Fehler der US-Politik der Gegenwart anzuprangern.
Er beschreibt den Prozess aus der Sicht des Anwalts, eines Nordstaaten-Kriegshelden, der (zunächst) wie alle anderen Mary Hutton für schuldig hält. Dem aber im Lauf des Prozesses klar wird: es geht weniger darum, ob sie tatsächlich schuldig ist, sondern um die faire Verhandlungsführung: Gerechtigkeit muss erhalten bleiben, egal, was geschieht. Dafür steht die Verfassung, dafür hat die Union gegen die Konföderierten gekämpft. Der Ankläger hat Unrecht: Im Krieg schweigen die Gesetze nicht, im Gegenteil: Sie müssen umso härter vertreten werden. Eine Meinung, die Redford unmissverständlich als Botschaft rüberbringt – mit der er ja auch Recht hat –, die aber dem Film nicht aufgesetzt wird. Denn dieser Kampf um ein gerechtes Verfahren, um die Bürgerrechte einer Frau, die des Furchtbarsten angeklagt ist, ist in die Geschichte eingeschrieben. Egal, ob solche Gedanken damals, 1865, tatsächlich so formuliert wurden oder nicht.
Was Redford gelingt, ist etwas Größeres als das bloße Plädoyer für die Einhaltung amerikanischer, westlicher, menschenrechtlicher Werte auch gegen die, die diese Werte mit Füßen treten. Es ist dies ein auch ein spannender Western in Form eines Gerichtsthrillers – am Ende geht der Held einsam dem Sonnenuntergang entgegen. Und Redford beschreibt in diesem Gewand eines historischen Gerichtsfilmes auch die Lage einer gespaltenen Nation: Der Bürgerkrieg hatte eine schlimme Wunde gerissen, von der nicht klar ist, ob sie je wieder heilen wird. Sutton soll ja nicht nur hingerichtet werden aus blinder Vergeltungssucht: Der Kriegsminister – den Kevin Kline klug als Falken spielt, der aber auch nicht blindwütig die Südstaaten niederdrücken will – will mit seiner harten Haltung gegen die echten und vermeintlichen Verschwörer den Frieden erhalten, will die Südstaaten von weiteren Verschwörungen abhalten, will den Norden von Racheakten gegen die Südstaatler abhalten. Die differenzierte Schilderung einer Nation am Scheidepunkt setzt sich fort in den genauen, komplexen Figurenzeichnungen. Fred Aiken, der Anwalt, ist ein Kriegsheld, für ihn ist es zunächst unerträglich, eine Feindin verteidigen zu müssen; James McAvoy spielt ihn als jungen Mann, den der Krieg mitgenommen hat, ein Krieg, den er auch als Anwalt nicht hinter sich lassen kann. Robin Wright spielt die Angeklagte: sie buhlt nicht um die Gunst des Gerichts oder des Kinozuschauers, sie ist verhärmt, verschlossen, abwesend und abweisend. Sie kann ebenso schuldig sein wie unschuldig. Sie ist steinern – ein Prüfstein für die amerikanische Justiz, für die amerikanischen Werte.
Die Brücke, die Redford mit diesem Film aus der Historie in die Gegenwart schlägt, ist tragfähig, sie wackelt und wankt nicht, und sie ist auch nicht überdimensioniert. Nur ein paar Pfeiler sind es vielleicht zuviel, die Redford hingerammt hat. Am Ende etwa sind alle Verurteilten heulendes Elend, nur Mary Sutton wirkt allzu gefasst, gelöst – und erlöst, weil sie ihre Aufgabe, die Bewusstmachung eines Justizmordes durch diesen Film, vollbracht hat. Und ganz am Schluss weist eine Einblendung darauf hin, dass Fred Aiken einer der ersten Lokalredakteure der neu gegründeten Washington Post wurde – ein Wink mit dem Zaunpfahl hin zu Redfords großer Stunde, als er mit Dustin Hoffman Nixon, den unmoralischen Gesetzesbrecher, zu Fall brachte …