Womit soll man anfangen bei diesem Film? Vielleicht beim Begriff des Wohnens im Filmtitel.
Da ist ein stattliches Landhaus mit angeschlossener Privatklinik und medizinischem Labor, Dr. Robert Ledgard residiert hier und eine geheimnisvolle Frau, Vera, die er gefangen hält, die er über einen riesigen Plasmabildschirm – und eine Menge kleinerer im Haus verteilter Monitore – liebevoll überwacht, mit der er Opium konsumiert: Ein Ausweg für sie wie auch für ihn. Zudem praktiziert Vera, Gefangene im Idyll des Ländlichen, Yoga: eine weitere Fluchtmöglichkeit ins Innere, zu dem Ort, der nicht zerstört werden kann.
Dazu die Haut, die der Titel anspricht: Die ist neu an Vera, eine durch Transgenese hergestellte neuartige Erfindung von Dr. Ledgard, ein künstliches Gebilde, das vor allerlei Unbill wie Feuer und Mückenstichen schützt: widerstandsfähige künstliche Haut, Ledgard hat Schweinegene eingebaut für höhere Festigkeit. Vera trägt sie – und darüber eine zweite Haut, ein hautfarbenes Ganzkörpertrikot, das sie nackt erscheinen lässt, das ihre neugebildete Körperoberfläche schützen soll. Zudem – um die Sache mit der Haut in einer weiteren Ebene wieder aufzugreifen – arbeitet Vera kreativ – was soll sie sonst tun in der Einsamkeit: aus Fetzen von Frauenkleidung baut sie Puppenköpfe.
Die Haut: Das ist auch die von Dr. Ledgard, der nicht aus der seinen heraus kann. Er hat – plastischer Chirurg, der er ist – Vera das Gesicht seiner bei einem Unfall verbrannten Frau Gal gegeben, sie der zwölf Jahre zuvor verlorenen Liebe angeglichen. Dass der Doktor ein mad scientist ist: Das ist von Anfang an klar: Wie er in seinem Labor im Keller heimlich herumhantiert, wie er besessen an den Möglichkeiten der Gesichtstransplantation und Hauterzeugung forscht, wie ihm die Haushälterin Marilia zum Frühstück einen Kanister Tierblut hinstellt für seine wissenschaftlichen Arbeiten … Vor allem aber die Musik macht deutlich, mit was für einem Menschen, mit was für einem Film wir es zu tun haben: Spannend, mysteriös, unheilverkündend, opulent stimmt sie ganz klassisch auf den Thriller ein, der „Die Haut, in der ich wohne“ (einerseits) ist.
Andererseits bricht sich das Absurde mehr und mehr Bahn, das wird spätestens klar, wenn ein als Tiger verkleideter Mann an der Haustür klingelt, Marilias missratener Sohn, der damals das Unglück an Gal verursacht hatte, der nun Vera – mit Gals Antlitz – in seinem Tigerkostüm mit wippendem Schwanz durchs Haus jagt und sie wie ein Tier vögelt … Eigentlich, vertraut Marilia Vera an, ist dieser Tiger-Sohn Dr. Ledgards Bruder: beide von verschiedenen Vätern, aber beide verrückt.
Hier nun muss man vom „ich“ des Filmtitels reden: Identitäten nämlich sind keine definierten Klarheiten und Wahrheiten in diesem Film – sie waren es bei Almodóvar noch nie. Wenn der Film nach 45 Minuten die Vergangenheit von Gal, Ledgard, dessen Bruder und der Tochter Norma aufdeckt, eine Geschichte von Feuer, Tod, Flucht, Heilung, Verunstaltung, Selbstmord, Verzweiflung und Obsession – dann ist er einerseits an einem Ende angelangt, hat aber doch noch viel zu erzählen, wenn er sechs Jahre zurückblendet und eine neue Figur einführt: Vicente, der fürs Schaufenster einer Boutique Strohpuppen schöne Kleider anlegt, mit ein paar Pillen zuviel auf die Party geht; und Norma, die Tochter von Ledgard und Gal, hat auch einiges intus – Antidepressiva, weil sie höchst labil ist. Ein kleines Missverständnis, was die Wirkung der Drogen angeht, eine Vergewaltigung im Park, ein Nervenzusammenbruch, Suizid – und Rache: Almodóvar führt geschickt vom Schlimmen zum Schrecklichen, von Trauer und Trauma zum Unaussprechlichen, vom Unerwarteten, Unerwartbaren zum Bizarren, von der Tragik zur tragischen Komik. Und damit gelingt ihm das Kunststück, die Elemente von Trashfilmen – von diversen billig-exploitativen Frankenstein-Spin-offs über extreme Revenge-Thriller bis zu Körper-Horror – zu überführen dahin, wo sie schon wieder zu Kunst werden: wo sich die Motive verschachteln, wo sie sich auf verschiedenen Erzählebenen spiegeln – symbolisch oder ganz konkret –, wo sich konkretes Leid mit überdimensioniertem Grotesken vermischt, wo das Billige, Trashige in hochästhetischen, stilisierten, perfekt durchkomponierten Bildern ganz neuen Wert erhält.
Im Grunde das Gleiche, was Tarantino macht – nur dass der viel mehr auf seinen Grindhousewurzeln herumreitet, und Almodóvar ganz einfach und ganz natürlich mit den ihm eigenen Mitteln einen spannenden, überraschenden, mitreißenden, überdrehten, bildstarken und komischen Film dreht.