Selten haben die Brüder Joel und Ethan Coen, die Meister der cineastischen Verweise und Stile, ihr Interesse so konzentriert einem Thema gewidmet wie in „Barton Fink“. Vielleicht naheliegend, wenn der Film doch vom kleinen Autor in der großen Filmfabrik handelt. Dabei herausgekommen ist so etwas wie ein travestierter Lynch in Gestalt einer Satire auf das Genre „Kulturkritik“, einer der wenigen Coens, deren Kerngehalt durch die manischen Verspieltheiten der Coens nicht spürbar überspielt wird und die trotzdem ein Kabinettstückchen hintersinniger Vieldeutigkeit bleiben.
Als zu Beginn der Vierziger Jahre der naiv-idealistische Barton Fink (John Turturro in seiner besten Rolle) mit einem Theaterstück über „den kleinen Mann“ seinen Durchbruch am Broadway erlebt hat, folgt er zögerlich einem Ruf nach Hollywood, wo er vom Filmtycoon Jack Lipnick (Michael Lerner) als Drehbuchautor engagiert wird. Sprach- und ratlos entnimmt der Bühnenautor (der offenbar noch kein Kino von innen gesehen hat) dem Redeschwall des Produzenten, dass er das Buch zu einem profanem Ringerfilm zu schreiben habe.
Getreu seinem Vorhaben, sich nie von dem „Mann auf der Strasse“ zu entfernen, mietet er sich ein im „Earle Hotel“, dessen ominöser Wahlspruch „A day or a lifetime“ lautet. In der billigen Absteige, auf deren düsteren und zugigen Fluren nur die Schuhe der Gäste, aber nie deren Besitzer zu sehen sind, macht er Bekanntschaft mit dem dicken Versicherungsvertreter („Ich verkaufe Seelenfrieden“) Charlie Meadows (John Goodman in seiner besten Rolle), weil ihn dessen verzweifeltes Lachen im Nebenraum vom ohnehin stockendem Arbeiten abhält.
Turturro und Goodman tragen den kammerspielartigen Film über weite Strecken mühelos alleine. Neben ihnen agieren schwitzende Wände, die unschöne und obszöne Resonanzen transportieren und deren Tapeten sich in der permanenten Hitze abschälen, eine Mücke, die sich nachts von Finks Blut ernährt, die Schreibmaschine, die nicht schreiben will, und das alles aufsaugende Weiß des Papiers, das so leer ist wie Bartons Kopf. Dahinter: Bartons ewiger Blickfang: das gerahmte Foto einer Strandschönheit, den Blick aufs Meer gerichtet.
Auf der Studiotoilette trifft Barton einen (nachdem der sich ausgiebig übergeben hat) vollendet höflichen Alkoholiker, der sich als William P. Mayhew (John Mahoney), der „beste lebende Schriftsteller“ den Barton kennt, entpuppt. Auch er ist inzwischen einer jener zahlreichen Filmautoren, die man in Hollywood trifft, wenn man nur einen Stein wirft, wie Produktionsmanager Ben Geisler es ausdrückt,- mit dem Zusatz: „Aber tun sie mir einen Gefallen: Werfen sie hart!“ Und auch Mayhew leidet unter Schreibhemmung.
Das Personal in „Barton Fink“ weist Ähnlichkeiten mit Figuren der früheren Hollywoodgeschichte auf. So scheint der Studioboss Lipnick ein Mix aus den Produzenten David Seltznick und Louis B. Mayer, Chef der MGM-Studios, zu sein, und William Mayhew erinnert an William Faulkner, dem Buchautor u.a. zu einem der bekanntesten Humphrey-Bogart-Filme: „The Big Sleep“ („Tote schlafen fest“).
Isoliert in Bungalows mit Namensschildchen und der Gattungsbezeichnung „Autor“ an den Türen fristet die literarische Elite der USA in Hollywood ihr Dasein als Galeerensträflinge. Haben sie einmal sich und ihr Talent den Studios verkauft, bleiben sie „ for a lifetime“ unter Vertrag. Audrey Tayler (Judy Davis), die aufopferungsvolle („Ich habe ihm immer seine Drehbücher geschrieben.“) Sekretärin und Lebensgefährtin des derangierten Mayhew versucht, Barton in seiner Not zu helfen,- am nächsten Morgen soll er Lipnick ein Treatment präsentieren. Es bleibt aber nur bei der ersten (sexuellen) Hilfe, denn Barton erwacht neben ihrer Leiche – und kann sich an nichts erinnern.
Fink, inzwischen ein personifizierter Nervenzusammenbruch, hat jetzt nur noch einen Freund, den „kleinen Mann“ von Nebenan, den kräftigen Charlie, der (nachdem auch er sich ausgekotzt hat) weiß, was zu tun ist. Charlie verschwindet mit der Leiche – Barton ist unfähig, zu fragen, wohin – und kehrt zurück, um Barton um einen einzigen Gefallen zu bitten: Er müsse wieder auf Dienstreise, und er wolle Barton etwas anvertrauen: „Schon merkwürdig, wenn alles, was das Leben eines Menschen ausmacht, in einen kleinen Karton passt, was?“ Fink stellt das geschnürte Päckchen neben die Schreibmaschine. In einem einzigen Marathon hämmert Barton nun das Drehbuch in die Maschine. Er ist der Meinung, etwas Besseres habe er noch nie geschrieben. Da aber Lipnick ganz anderer Meinung ist, erklärt er Fink kurzerhand, dass er nie wieder ein Drehbuch abliefern dürfe, aber alles, was er fortan schreibt „für immer Eigentum von Capitol Pictures“ und unter Verschluss bleiben werde.
Nichts ist, wie erhofft. Das „künstlerisch Wertvolle“ gilt natürlich in Hollywood nichts, der eingebildete („Auch ich bin ein Arbeiter, mein Werkzeug ist mein Verstand“) Barton wird von einem Matrosen umgehauen, weil er seine Tanzdame nicht freigeben will, aber nun die „Navy“ dran ist, und der nette Mann von Nebenan, Charlie Meadows („Manchmal vergesse ich mich wirklich!“), ist der gesuchte Serienmörder Karl Mundt, auch „Mörder-Mundt“ genannt. Mit den Worten „Ich zeig’ euch den wahren kreativen Geist!“ und „Heilhitler“ entflammt Charlie das Hotel. Ein Streichholz braucht er nicht. Symbolträchtige Überzeichnungen kippen ins reine Symbol. Zeitgleich findet der Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg statt, und Lipnick, der sich sofort als Freiwilliger gemeldet hat, hat sich von der Kostümabteilung (wie Göring) eine Phantasieuniform schneidern lassen, bis die offizielle Uniform eintrifft. Für Lipnick ist alles, auch der Krieg, ein Film, und jede Handlung eine Pose: Hollywood.
Nur Charlie, der Verkäufer von Seelenfrieden, kennt die „kleinen Leute“, und zwar so gut, dass er sie von ihrem traurigen Dasein erlöst, indem er sie buchstäblich von ihren Köpfen befreit. Barton Fink, der selbsternannte Erfinder des „Theaters der Wahrheit“ kann die Wahrheit nicht kennen, weil er nie zugehört hat, wenn Charlie, mit dem Flachmann winkend, ihm anbot: „Ich könnte dir Geschichten erzählen …“ Hollywood verkennt den Künstler, aber der Künstler selbst ist sich zu schade für die Realität. All das ist eigentlich Stoff eines gesellschaftskritischen Stücks, aber die Coens kennen das tragische Genre im Kino, sodass sie Spass daran haben, dessen kalkulierte Methoden mit skurillen und ironischen Überzeichnungen zu unterlaufen und zu demaskieren.
So sehr den Coens – zum Teil sicher berechtigt – immer wieder postmoderne Beliebigkeit nachgesagt worden ist, in „Barton Fink“ dient die Beherrschung der Methode, über die gelungene Kopie hinaus, der Wahrheitsfindung, denn, wenn sie hier Maskierungen hervorheben, heben sie sie auch ab von dem Rest, der Substanz. In ihrer Geschichte über die ausbeuterischen Praktiken des wahren Hollywood steckt zugleich auch die Enttarnung des klischeehaften Hollywoodpathos. Das macht die Satire „Barton Fink“ auf doppelte Weise aufklärerisch. Neben Robert Altmans „The Player“ und dem (natürlich rätselhaften) „Mulholland Drive“ von David Lynch ist „Barton Fink” eine der beißendsten Abrechnungen mit Hollywood und dessen Ausdrucksmitteln. Er ist ein kritisch-vernarrter Blick auf das Produkt und ein böser Blick in das Getriebe der Maschine.
Wenn Lipnick den Satz: „Glauben Sie, Sie sind der einzige Autor, der uns das Barton-Fink-Gefühl geben kann?“, ausspricht, dann bringt er (im Film vierzig Jahre verfrüht) eine Kernthese der Postmoderne auf den Punkt. Der „Tod des Autors“, Dauerthema der postmodernen Literaturwissenschaft, in „Barton Fink“ wird er uns plastisch vorexerziert. Jeder Stil ist schon einmal dagewesen, und alle Kunst bedient sich aus dem Fundus des Vorhandenen. Autonome Originalität und Individualität sind im Jargon der postmodernen Theorie illusionär. Hat Lipnicks Satz im Film noch einen zynischen, da vom Raubtierkapitalismus diktierten, Beiklang, wird er von den Coens selbst mit entwaffnender Beiläufigkeit filmisch bewiesen. Sie kopieren und persiflieren nicht nur das „sozialkritische Drama“, genüsslich weiden sie auch die Bildersprache eines David Lynch aus. Wenn die Kamera in „Blue Velvet“ in ein abgeschnittenes Ohr taucht und es als Pforte zur Unterwelt enthüllt, folgt sie in „Barton Fink“ dem Weg des Erbrochenen ins alles verschlingende Abflussrohr. Offen bleibende Fragen, surreale Elemente, aberwitzige Anspielungen, regen, wie bei Lynch, die Hirntätigkeit an. Der Verdacht eines verborgenen Codes nagt am Zuschauer, und wenn er nicht ganz zu knacken ist,- umso besser. Das Geheimnis, das Ungesagte, gibt einem Film oft dessen größte Kraft, solange sich diese Methode nicht zum Selbstzweck macht. Und „Barton Fink“ ist so reich an treffenden Reflexionen, dass der Verdacht auf fehlende Substanz kaum Nahrung findet. Und doch bleibt der Zuschauer irritiert, ahnend, dass vielleicht selbst die geheimnisvolle Symbolsprache nicht von der beissenden Coenschen Ironie verschont geblieben ist. Aber ist der Nachweis einer Finte kein Nachweis?
Barton, nun auf ewig Eigentum der Filmgesellschaft, trägt seine letzte Habe an den Strand: das Paket. Vor ihm eine Strandschönheit. Sie fragt: „Was ist in dem Karton?' Er antwortet: „Ich weiß es nicht.' Die Frau wendet sich zum Meer, die Szene wird zu der auf dem Foto hinter der Schreibmaschine. Der Karton ist genau kopfgroß. „Barton Fink“ birgt eine schaurig-amüsante, doppelbödige Verrätselung mit exakt wünschenswerten Proportionen …