Aufblende: Das sagenumwobene Zertifikat erscheint: „Dogma No. 5' steht darauf, Schnitt: Das Zertifikat ist gerahmtes Filmutensil an der Wand der Pfarrei und damit der augenzwinkernde Verstoß gegen eines der berüchtigten zehn „Dogma-Gebote'. Sollte „Dogma 95' selbst ganz unironisch ein Regelwerk zur Befreiung von Unauthentischem sein, verstößt „Italienisch für Anfänger' aber vor allem gegen das heiligste „Dogma'-Ziel: gegen die Plausibilität seiner eigenen Geschichte.
So aufregend und neu die ersten „Dogma 95'-Produkte seit 1998 in den Kinos anbrandeten, so schnell brachte jene dänische neue 'Nouvelle Vague' nach der Gischt Brackwasser mit sich. War „Das Fest' von Thomas Vinterberg ein vitaler Paukenschlag, „Idioten' von Lars von Trier eine Tragödie getarnt als Alltagsdoku, verflachte die Reihe mit „Mifune' (Soren-Kragh-Jacobsen), um nach der angestrengten aber gut gemeinten Nachwelle „Lovers' des Franzosen Jean-Marc Barr vorerst bei Lone Scherfigs „Italienisch für Anfänger' zu enden, einem Film, der nur noch seicht vor sich hin plätschert.
Eines haben alle Hauptakteure von „Italienisch für Anfänger' gemeinsam, sie sind nicht ganz passgerecht für die Gesellschaft, sie sind kleine „Misfits'.
Olympia, die von ihrem Vater tyrannisierte Bäckereiverkäuferin, ist zu ungeschickt, sie wirft ständig Gebäck und Backbleche herunter. Karen, die Friseurin, verliert ihre Kundschaft, weil dauernd ihre schwer alkoholkranke Mutter (Lene Tiemroth mit der besten darstellerischen Leistung des Films) in den Laden kommt. Hal-Finn, der Kellner, ist einfach zu unfreundlich für seinen Job. Jorgen, der Hotelangestellte, ist nett aber impotent. Ausgerechnet in ihn ist die ein bisschen zu hübsche italienische Küchenhilfe Giulia verliebt. Andreas, der junge Pastor, ist ein wenig zu unsicher und unorganisiert für seinen Job.
Allen gemeinsam ist auch die Sehnsucht nach Italien, zumindest nach einem Italien im Kopf, das, fern vom tristen und so unitalienischen Zuhause, einem Vorort Kopenhagens, für Leichtigkeit, Gewandtheit und Lebensfreude steht, und so trifft man sich in der Volkshochschule, um dort Italienisch zu lernen. Tatsächlich leistet der Kurs „Italienisch für Anfänger' was seine Assoziation verheißt: Er führt die an der eigenen Unzulänglichkeit Verzagten zu einander, er ist ein Klub der einsamen Herzen, den am Ende gar die waschecht italienische Giulia besucht, nur um ihren Romeo zu kriegen.
Aber ganz so einfach ist das Leben nicht. Unsere Helden befinden sich ja schließlich in einem 'Dogma'-Film. Nur gut, dass Lone Scherfig noch daran gedacht und nicht weniger als fünf Todesfälle zwischengeschaltet hat. Nicht, dass diese stattliche Anzahl Verstorbener wirklich nachhaltig die Handlung beeinflussen würde, die lieben und bösen Toten liefern aber immerhin bittere Würze für den Moment, wenn aus Leid Freud und aus Einsamkeit Gemeinsamkeit im Allzumenschlichen werden darf.
Dass „Italienisch für Anfänger' schließlich kein Trauerspiel sein kann, sagt ja schon der Titel, der Programm ist und Klischee, wie man will. Beileibe nicht das einzige Klischee des Films. Dafür ist Karen eine zu aufopferungsvolle Tochter, Olympia ein zu verzagtes, schüchternes Kitz, ihr Vater ein zu tyrannischer Unmensch (usw.), um glaubhaft zu sein, vor allem, weil sich bei kaum einer Figur Tiefe ausmachen lässt, die wiederum über ein Klischee von Tiefe hinaus ginge. Wenn z.B. Pfarrer Andreas vom Tod seiner (auch noch) schizophrenen Frau berichtet, dann bleibt nur, ihm zu glauben, er habe darunter gelitten: Sichtbar oder nachvollziehbar ist seine Trauer nicht, während sein Amtsbruder zu überzeichnet erscheint, wenn er aus Melancholie über den Verlust seiner Frau den Organisten von der Empore geworfen haben soll.
Figuren ohne Tiefenschärfe haben sich auf lange Sicht nicht viel zu sagen, deshalb ist es praktisch, wenn Hormone walten, wo der Gesprächsstoff fehlt. Das führt einmal zum Spontankoitus, ein andermal zum spontanen „Si' des Eheversprechens, wo noch keine zehn Sätze gewechselt sind. Wenn man den Richtigen gefunden hat, dann fühlt man das eben. Nach langem langweiligen Hin und Her feiert Scherfigs Eskapismus für schlichte Gemüter schließlich seine Krönung, sodass es wirklich schmerzt, in Venedig, wo – man traut seinen Ohren dann doch nicht – ein Gondoliere „O sole mio' singt. Vielleicht soll das ja einer jener augenzwinkernden Scherze sein, aber ernst nehmen kann man den Film sowieso nicht – auch nicht als Komödie. „Italienisch für Anfänger' ist wie ein Heimatfilm, dem seine Berge und sein Patriarchat abhanden gekommen sind, und so bilden ersatzweise Krankheit und Tod die Problemkulisse. Sonst ist alles vertreten, die Nettigkeit, die unpolitische Weltfremdheit, das kleine Glück im Privaten, auch die flache Komik hat 50er Jahre-Niveau, etwa wenn z.B. ein gestelltes Gruppenfoto völlig verwackelt.
Nach „Mifune' ist dieses der zweite „Dogma'-Film der zeigt, dass eine Methode kein Garant für Qualität ist. Schon „Dogma Nr.2', von Triers „Idioten', hat sich mit der ‚Volkhochschule‘ beschäftigt. In einer fünfminütigen Szene ist dort das Thema aufs Beklemmendste – da riechbar authentisch in seiner Spießigkeit – und erschöpfend abgehandelt worden. Die 108 Minuten der „Anfänger' dagegen mühen sich um Reputation einer Volkshochschul-Seligkeit, die es so nie gegeben hat, und sie bekommen dafür auch noch den „Silbernen Bären'. Ein Symptom für die Spießigkeit unserer Zeit?