Natürlich bringt man seine Kinder nicht um, aber sie können schon sterben, wenn man mal eben Zigaretten holen geht.
14 Tage dauerte das Zigarettenholen von Daniela Jesse (Name, Vorname und Gesicht der Kindsmörderin sind im Film bewusst unverfremdet belassen), ihre beiden Jungens verdursten, weil ihre Mutter von irgendeinem Glatzkopf Liebe erhoffte. Gibt da ja auch fast nur solche, im Plattenviertel in Frankfurt/Oder. Von wem soll man schon Liebe erwarten? Und es gibt die innovativen Verhältnisse von Kapital und Arbeit, die seit dem Fall der Mauer in den östlichen Bundesländern eine fundamentale Arbeits- und Perspektivenlosigkeit provozieren. Fundamentalismus mitten im lieben Kapitalismus, wer hätte dergleichen vermutet?
Für die ganz unbürokratisch schnelle Wiedereinführung der Todesstrafe sind Nachbarn, die taub waren für Klagelaute aus Kinderkehlen hinter verschlossenen Wohnungstüren, und ganz folgerichtig fragt Regisseurin Aelrun Goette implizit, ob es denn damit getan sei, wenn Kinder lediglich überleben im Herzen des elterlichen Destruktionswillens? Und insgesamt: ob das weniger strafwürdig sei, ob nicht überhaupt die Frage der Schuldfähigkeit hier und da und manchmal allgemein eingeschränkt gehöre?
Zumindest hinterfraglich, auch ohne signifikante psychologische Störung (dem anschließen müsste sich eine Frage nach dem Standard von psychologischer Normalität, dem östlichen, westlichen, insgesamt aktuellen) bleibt: Dürfen wir unsere Kinder denn verdursten lassen, weil wir im Kapitalismus leben (obwohl Kommunismus – gegenseitige soziale und geheimdienstlerische Aufmerksamkeiten, Kinderkrippen, Vollbeschäftigung, Nachbarschaftshilfe und dergl. ursprünglich gelernt wurde)?
Des weiteren: Sind wir Ossis verantwortlich zu machen für die Leere in unseren Portemonnaies, Hirnen, Beziehungen, für unsere Hoffnungslosigkeit nach der hoffnungsschwangeren Wiedervereinigung? Sind wir dennn verantwortlich für die biologischen Uhren, die ein paar Jahre lang für uns Kinder hinticken, und uns ein paar Jahre lang an diese binden, ohne zu gucken, wer oder was wir sind und was wir wollen, für die wirtschaftlichen Uhren, die uns ein paar Jahre lang unsere absolute Überflüssigkeit eintrichtern?
„Die Kinder sind tot“ ist ein Dokumentarfilm über einen Zustand, in welchem aus einer mangelhaften elterlichen Perspektive heraus kaum eine positive Perspektive für die nächste Generation erwachsen kann. Der Film versucht nicht, Entschuldigungen heranzuziehen, er attestiert nur, dass selbst „Kindsmord“ eine zu beschönigende Bezeichnung ist für das viel Beunruhigendere, das einen viel zu großen Raum in unserer bundesdeutschen Realität einnimmt: Individuelle Verzweiflung und eine gleichzeitige allgemeine Gleichgültigkeit.
Unser neuer Präsident findet sowas natürlich. Sollen potentielle Kindsmörder doch möglichst schnell wegziehen aus Frankfurt/Oder nach Süddeutschland, überhaupt no problem. Dann kommt schon wieder Freude auf – und Familiensinn. Und vielleicht menschenleere Landschaften, vielleicht gut für Naturschutz, denn seit wann kann Politik „Menschen“ schützen? Absurder Gedanke!