Einer lange versunkenen Zeit entstammen die ersten Bilder von François Ozons neuem Film „Das Schmuckstück“ (Potiche). Sie beschreiben eine ebenso märchenhafte wie kitschige Naturidylle, ein künstliches Paradies, durch das die Unternehmergattin Suzanne Pujol (Catherine Deneuve) frühmorgens im poppig roten Trainingsanzug joggt. Ruhe und Friede, Entspannung und Einklang liegen über der Szene, wenn Suzanne verträumt mit den Tieren des Waldes spricht und als Hobby-Dichterin sentimentale Verse über das „vergängliche Schicksal“ schmiedet. Aber natürlich ist dieser überzuckerte Fluchtraum in Ozons ironischer Perspektive nicht ernst gemeint; allenfalls bildet er den imaginären Ort, wo sich die noch schlummernden Gegenkräfte zum verordneten Status quo sammeln. Damit korrespondiert, dass der überaus produktive französische Regisseur die in milchige Farben getauchte Eingangssequenz als Hommage an Filmkomödien der siebziger Jahre in einer Splitscreen auflöst.
Die diskriminierende Verlängerung dieser scheinbar heilen Welt erfährt Suzanne später im schmucken Eigenheim, und zwar in der Konfrontation mit ihrem cholerischen Ehemann Robert Pujol (Fabrice Luchini), einem herrischen Unternehmer alter Schule. Die traditionsreiche Regenschirmfabrik mit ihren 300 Mitarbeitern führt er mit unnachgiebig harter Hand; und als geiler Schürzenjäger überträgt er sein standesbewusstes Besitzdenken mit größter Selbstverständlichkeit auf sein Verhältnis zum anderen Geschlecht. Mit provozierender Direktheit und satirischer Überzeichnung seziert Ozon das machistische Verständnis der Geschlechterrollen Mitte der 1970er Jahre. Demnach fällt Suzanne die „dekorative“ Aufgabe zu, fraulich, häuslich und vor allem repräsentativ zu sein. Ob hinter dem schönen Schein duldsamer Genügsamkeit unterdrückte Bedürfnisse schlummern, lässt Ozon allerdings zunächst offen.
Das ändert sich, als der despotische Chef im Verlauf eines unerbittlich geführten Streiks einen Schwächeanfall erleidet und die Unternehmensleitung an seine Frau abgeben muss. Diese hat – für manche überraschend – nicht nur eine eigene Meinung, sondern pflegt auch einen weniger hierarchischen Führungsstil, der auf Kommunikation und Mitbestimmung setzt. Unterstützt wird sie dabei zunächst vom kommunistischen Bürgermeister Maurice Babin (Gérard Depardieu), der als Suzannes ehemaliger Liebhaber eine alte Sehnsucht wiederbeleben möchte, und ihren beiden erwachsenen Kindern Laurent (Jérémie Renier) und Joëlle (Judith Godrèche). Doch die Untiefen eines instabilen Familiengefüges, basierend auf Lügen und Verrat, bleiben bei Ozon auch im Genre der heiteren Komödie präsent, wenngleich er sich diesmal mehr auf die Phänotypen konzentriert. Erfrischend undogmatisch jedenfalls erzählt Ozon von Geschlechterkampf, Rollentausch und der Macht der Frauen. So wird Suzanne zur bewunderten Vorkämpferin einer Emanzipation, die im fulminanten, politsatirischen Finale als neues Matriarchat gefeiert wird.