Ist Klaus Kinski wahnsinnig? Ist er ein Philosoph? Ein Egozentriker? Ein Exzentriker? Einfach nur ein Selbstdarsteller? Alles zusammen? Nichts davon? Das sind Fragen, die sich beim Betrachten von Kinski-Interviews stellen; und Fragen, die völlig wurscht sind. Weil in einem Kinski-Interview nur der Augenblick zählt, nur die absolute Gegenwärtigkeit, und Fragen nach dem Warum und Wieso, nach dem Woher und Wohin nur der Freude an perfekter Unterhaltung im Weg stehen.
Wahrscheinlich muss man Kinski bei allem, was er sagt, als Performer betrachten. Es ist nur konsequent, dass der „Jesus Christus Erlöser“-Abend, den Kinskis Nachlassverwalter Peter Geyer so verdienstvoll auf DVD veröffentlicht hat, sich in (Miss)Kommunikation mit dem Publikum auflöst; und dass – andersrum – Kinski in journalistischen Gesprächen nur seiner eigenen Agenda folgt. Einige der eindrucksvollsten Auftritte von Kinski bei Interviews und in Talkshows hat Geyer in zwei hervorragenden DVDs zusammengestellt: „Kinski Talks 1“ und „Kinski Talks 2“ zeigen ihn sanft und unverstanden, rabiat und wütend, die Welt erklärend und verdammend: ein Kinski-pur-Kompendium, dem vielleicht – wenn sich die ersten beiden Editionen gut genug verkaufen – noch eine drittes folgen könnte.
Bekannt ist Kinski für seine cholerischen Ausbrüche, für seine wütenden Beschimpfungen – die könnten tatsächlich seinem überschäumendem Temperament geschuldet sein, oder sie sind kalkulierte Brüche mit den Gepflogenheiten, eine Selbststilisierung als enfant terrible. Auf jeden Fall sind sie herausragende Stücke Fernsehgeschichte – Geschichte im Sinn von abgeschlossen, niemals wieder kehrend: Denn wo wäre in der Überflutung mit ununterscheidbaren öffentlich-rechtlichen Talkshows ein heutiger Kinski möglich?
In der WDR-Talkshow „Je später der Abend“ von 1977 ignorierte Kinski jede Frage und verwickelte sich mit einem der Studiogäste in einen Streit. Moderator Reinhard Münchenhagen – von Kinski in permanenter Scherzhaftigkeit als „Münchhausen“ betitelt – erinnert sich, nach der Sendung weitere verbale Ausfälligkeiten Kinskis befürchtet zu haben; der habe ihn aber nur angestupst: „Wars gut so?“ In einem ebenfalls auf „Kinski Talks 1“ befindlichen 75-Minuten-Interview für RTL plus von 1985 machte Kinski keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Interviewerin Helga Guitton, an der er kein gutes Haar ließ. Ansonsten glänzt er durch Lustlosigkeit, die ihn zugleich zu einigen rhetorischen Höhenflügen inspiriert. Bezeichnenderweise wurde das Interview, offenbar auf Kinskis Wunsch hin, beim Mittagessen aufgezeichnet. Dass sich Kinski, so Geyer in seinem Essay im Booklet der DVD, demonstrativ weigerte, für seinen damals aktuellen Film „Kommando Leopard“ in irgendeiner Form Werbung zu machen, war von Produzent Erwin C. Dietrich genau kalkuliert worden: Bei der vertraglich festgelegten Werbetour Kinskis (die ihm 7.000 $ Gage täglich brachte) sollte er sich möglichst schlecht benehmen, das würde die größtmögliche Aufmerksamkeit generieren. Auch Alida Gundlach durfte das spüren in ihrer NDR-Talkshow, in der Kinski sie unverschämt anmachte und fast ausschließlich übers Geld sprach: wie hoch die Bezahlung sein muss, wenn er in einem Film mitspielt, dass auf jeden Fall im Voraus bezahlt werden muss, dass das Ergebnis ihn nicht interessiert. Schauspieler? Künstler? Pustekuchen.
Als Überraschungsgast in der NDR-Talkshow – es war Kinskis 59. Geburtstag – tauchte Hans Leutenegger auf, Schweizer Ex-Bob-Olympiasieger von 1972, Unternehmer, Co-Darsteller in „Kommando Leopard“ und seit dem Dreh auf den Philippinen Kinskis bester Freund. Mit lustigem Schweizer Dialekt und vielleicht echter Naivität hängt der sich an Kinski, schon beim RTL-Interview mit Helga Guitton saß er am Esstisch dabei und versuchte, ab und an ein wenig über den Film zu reden … Seine Unbeholfenheit vor der Kamera ist ein reizvoller Kontrast zu Kinskis einnehmender, alles verdrängender Präsenz. Vielleicht bestand tatsächlich zwischen Leutenegger und Kinski eine – vor allem von ersterem behauptete – enge Bindung; vielleicht deshalb, weil Leutenegger Kinski unverhohlen bewunderte, ihn als Mentor ansah und ihm nie im Weg stand. Leutenegger und Kinski: als Traumpaarung. Höhepunkte auf beiden „Kinski Talks“-DVDs.
Apropos Paarung: Im Gespräch mit Desiree Nosbusch, aufgenommen 1982, gesendet 1985, erregt sich Kinski zunächst über Anspruchsdenken, über Klempner und über die ignorante Jugend, um sich dann zärtlich in Desirees Schoß zu kuscheln und auf romantischer Blumenwiese süßholzraspelnd Zärtlichkeiten ins Ohr der 17jährigen zu säuseln. An der Kamera: Nosbuschs damaliger Ehemann Georg Bossert; und wenn man bedenkt, wie sie sich – unter dessen Management – Anfang der 80er lolitahaft gerierte (man denke auch an Eckhard Schmidts Film „Der Fan“ (1983), worin sie minutenlang nackt herumläuft (und eine Leiche zerteilt)), dann ist vor allem zu bewundern, wie sich hier zwei Menschen begegnen und glänzend verstehen, die sich innerhalb ihres selbstgewählten Images ganz frei bewegen können.
Wahnsinniger? Philosoph? Selbstdarsteller? Kinski war alles zusammen, der Wahn wird zur Philosophie, bei der Widersprüche innerhalb weniger Sätze nicht stören, und Kinski lässt das zu, spielt seine Rolle des Ungebändigten, weil er weiß, dass genau das von ihm erwartet wird. Oder: Vielleicht lässt er nur offen seinem Gedankenfluss freien Lauf. Wut, Eitelkeit und Verachtung stehen neben Liebe, Zärtlichkeit und Leidenschaft, und ganz ungefiltert verausgabt er sich, gibt sich hin, entblößt sich. Wahrscheinlich kotzen ihn die naheliegenden, immergleichen Fragen unvorbereiteter Journalisten an. Deren Unprofessionalität ist ihm ein Gräuel, und zugleich bieten sie ihm eine Spielwiese für die eigene Eitelkeit und Egomanie. Vergnüglich ist es allemal.