Eine dokumentarische Bilderfolge aus historischen Fotografien und Filmen fingiert als kurzer Einspieler die Chronik einer Familie über mehrere Generationen hinweg: Die dänische Regisseurin Pernille Fischer Christensen beginnt ihren bewegenden Film „Eine Familie“ mit einer mythischen Erzählung über den Pioniergeist und Fleiß der Familie Rheinwald, einer Bäckerfamilie, die mit ihren qualitativ hochwertigen Backwaren zum „königlichen Hoflieferanten“ aufsteigt. Das Gewicht der Tradition und das Wissen über die hohe Backkunst sind in dieser schwarzweißen Bildergeschichte aufgespeichert und vermitteln ein Gefühl für familiäre Pflichten, aber auch für Qualitätsmaßstäbe wider den Zeitgeist. Im Gespräch verweist die sensible Filmemacherin noch auf eine weitere Funktion dieses „Familienalbums“: Es zeige als kollektives Gedächtnis, was Menschen teilen und miteinander verbindet.
Insofern entwickelt sie zunächst die Rollen, die ihre Figuren in der Familie zwischen Pflichtgefühl und individuellem Freiheitsdrang spielen. Schnell, direkt und mit intimer Nähe erzählt Christensen wie die Galeristin Ditte (Lene Maria Christensen), die älteste Tochter der Rheinwalds, in eine tragisch verknüpfte Abfolge von Entscheidungsdilemmata gerät: Aus New York erreicht sie ein verlockendes Job-Angebot, das mit einer regen Reisetätigkeit verbunden ist, während sie gleichzeitig erfährt, dass sie von ihrem Künstler-Freund Peter (Pilou Asbæk) schwanger ist. Kurz darauf erleidet ihr Vater Rikard (Jesper Christensen), ein kämpferischer Patriarch, der seine Krebserkrankung überwunden zu haben glaubt, einen schweren Rückfall und stemmt sich mit nachlassenden Kräften gegen sein Schicksal. Dabei erwartet er von seiner Lieblingstochter, dass diese den Familienbetrieb weiterführt.
Lebensnah und echt entwickelt Pernille Fischer Christensen ein komplexes Geflecht aus Entscheidungskonflikten. In Abhängigkeit von wechselnden Umständen und Zufällen, von unumkehrbaren Entscheidungen und einem unabänderlichen Schicksal versucht die Protagonistin zwischen Selbstverwirklichungsträumen und familiärem Zusammenhalt zu vermitteln, deren Wert sie in der Begleitung ihres qualvoll sterbenden Vaters neu erfährt. Gerade im Angesicht des Leidens erneuert und intensiviert sich für sie auch das Leben. „Das Thema Tod“, sagt Christensen, ist deshalb auch „nicht das Wichtigste in dem Film“, sondern „die Angst davor, etwas zu verlieren.“ Nur „ein Atemzug Unterschied“ trennten das „Da-Sein“ vom „Nicht-mehr-Sein“, das als „magischer Ort“ dieses Übertritts sich dem Verstehen entziehe. Die Antworten auf die Frage nach dem Umgang mit der Angst gebe deshalb, so die Regisseurin, das Leben selbst.
(Die Zitate stammen aus einem Publikumsgespräch, das Pernille Fischer Christensen anlässlich einer Preview ihres Films am 27.2.11 im Heidelberger Gloria-Kino führte.)