Mein Glück

(D / UA / NL 2010; Regie: Sergei Loznitsa)

Was ist Glück?

„Mein Glück“ ist der erste Spielfilm des aktuell wohl bekanntesten russischen Dokumentarfilmregisseurs Sergei Loznitsa.
Es geht los mit der Rückkehr der – seit Ende der Sowjetunion im Film fast abwesenden – Arbeit (gleichzeitig greift er einen Faden auf, den er mit 'Segodnya my postroim dom' ('Heute bauen wir ein Haus') bewusst verlassen hat). Es beginnt dynamisch mit dem Rühren von Zement. Ein schlafender Arbeiter wird gepackt und in Zement geworfen. Es folgen Zementmischer und per Bagger auf „uns“ zugeschobene Erde. Die Wiederholung ist nicht zufällig.

Nach diesem Prolog geht in einem postindustriellen Setting – nicht unähnlich dem in Tomás Toths 'Dyeti chugunnykh bogov' ('Kinder der gusseisernen Götter') (nach dem Drehbuch des viel zu früh verstorbenen Ausnahmeregisseurs Piotr Lutsik, von dem noch die Rede sein wird) – der Lastwagenfahrer Georgii zu seinem Wagen. Bei seinem kurzen Halt zuhause erfahren wir, dass seine Beziehung auch schon bessere Tage gesehen hat – die Frau wendet sich bei seinem Anblick vom Fenster ab und geht schlafen. Er nimmt sich Proviant und geht auf Fahrt.

Er stößt auf Polizei-Willkür und hat noch Glück, dass die Uniformierten mehr an einer gleichzeitig kontrollierten Person interessiert sind. Unerwartet wird er mit der Vergangenheit in Form eines namenlosen Weltkriegs-Veteranen konfrontiert, der ihn auf Einiges vorbereitet. Seine Fahrt endet im Nirgendwo und ihm ergeht es auch nicht gut.

Ein harter Schnitt und wir sind im Hinterland des Weltkrieges. Eingeführt wird nun das Haus, um das der Film im Weiteren kreist. Nun will uns diese Episode zwar sagen, dass die Gesellschaft sich im fortgesetzten Krieg befindet und nach wie vor der Nationalstolz der Russischen Föderation allein auf dem Sieg über Nazi-Deutschland beruht. Doch bedeutet sie dramaturgisch einen herben Bruch und widerspricht damit fast schon der Grundauffassung des Films.

„Mit den Toten stehen wir im Kampf um den Frieden, Genosse General“, sagt der ziellos umherstreifende Weltkriegsveteran. Er sagt dies in einem Land, in dem der Zweite Weltkrieg nie aufgehört hat, immer weitergeht, weil es keine Zukunft gibt. Im Alten wiederholt sich die Vergangenheit, weil aus ihr nichts gelernt wurde. Er hat sich durchgeschlagen, aber was wird die jetzige Generation machen?

Zurück in der Jetztzeit ist Georgii auf ungeklärte Weise dorthin gelangt, irgendwie ist er der Mann der aktuellen Hausbesitzerin Maria – sie befriedigt sich an ihm, widerspricht aber weder dem ungenierten Gerede über seinen vermutlich bevorstehenden Tod noch freut sie sich, als er nach Hause kommt. Jeder ist eine Insel und alle sind zur Überlebenssicherung mit irgendwelchen mehr oder weniger legalen Geschäften befasst. Die – letztlich ohnmächtige – Polizei begnügt sich damit, willkürlich Lebewesen herauszugreifen und zu schikanieren – das kann dann auch mal der Hund sein. Die Tochter des Polizisten sitzt im Auto und wächst in genau diese kranke Nummer hinein. Es wird darüber gesprochen, dass mal anständige Menschen in diesem Haus gelebt hätten. Maria verkauft es und will an die Autobahn – vermutlich ihr Glück in Moskau suchen.

Zuletzt landet Georgii wieder auf der Station der Verkehrspolizei, nur ist er diesmal nicht Fahrer, sondern Beifahrer. Er hat seine Erfahrungen gemacht und es reicht ihm. Total. Er geht alleine in die Nacht.

Die Erzählhaltung ist gewöhnungsbedürftig – der Film besteht aus nur lose durch LKW-Fahrer zusammengehaltene Episoden, die nicht immer auserzählt sind. Auch übertreiben es einige Darsteller heftig. Die Übersetzung ist mitunter komisch: So wird die im Film zu sehende Landstraße mit ‚Autobahn‘ übersetzt. Das ist verzeihlich, denn im Wesentlichen ist die Übersetzung in Ordnung – und es ist zu sehen, dass es sich nicht um eine Autobahn handelt. Allerdings bestätigen die Synchronsprecher alle Vorurteile gegen Synchronversionen – so hölzern gesprochen wie auf einer schlechten Theaterbühne. Das sollte im Film keinen Platz haben!

Das Porträt einer Gesellschaft, die den Menschen nicht wahrnimmt; in der jeder gegen jeden kämpft und sobald er ein Quäntchen Macht mehr hat, das gnadenlos willkürlich ausnutzt; einer Gesellschaft, die keine Traditionen mehr hat; die normale Menschen ausraubt und vernichtet; einer Gesellschaft auf der Reise ins Ungewisse. Das Personal des Filmes sind gescheiterte Figuren, die mit Liebe und Ruhe gezeigt werden, die nicht als Witzfiguren missbraucht werden. Figuren, zu denen Konstantin Weckers Lied „Willy“ in den Kopf kommt: „Echter sind die schon, Willy, aber ich hab dich gewarnt, aufpassen musst du bei denen, weil das sind Geschlagene und Getretene, und wer dauernd getreten wird, der tritt halt irgendwann einmal zurück.“

Kein optimistisches Bild der postsowjetischen Gesellschaft. Im Gegensatz zu etwa „Okraina“ von Piotr Lutsik, in dem der Feind gesucht werden musste, aber die antisoziale Tat klar auszumachen war, gibt es hier nicht einmal einen Ansatzpunkt. Sergei Loznitsa seziert die russische Gesellschaft mit dokumentarischem Blick und deckt auf, was diese Gesellschaft im Innersten zusammenhält – nichts außer dem Stolz auf den Sieg über den Nazi-Faschismus und den Kampf aller gegen alle.

Benotung des Films :

Ira Kormannshaus
Mein Glück
(Schastye moe)
Deutschland / Ukraine / Niederlande 2010 - 127 min.
Regie: Sergei Loznitsa - Drehbuch: Sergei Loznitsa - Produktion: Heino Deckert, Oleg Kokhan - Bildgestaltung: Oleg Mutu - Montage: Danielius Kokanauskis - Verleih: Farbfilm - FSK: ab 16 Jahren - Besetzung: Viktor Nemets, Vladimir Golovin, Alexei Vertkov, Dimitriy Gotsdiner, Olga Shuvalova, Maria Varsami, Boris Kamorzin
Kinostart (D): 03.02.2011

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1646114/