Kompliziert genug, dass in Filmen immer gespielt wird. Wenn dann aber auch noch damit gespielt wird, dass gespielt wird, wird es gänzlich unübersichtlich. Doch gerade darin kann ein gewisser Reiz liegen, wie beispielsweise Charlie Kaufmans Drehbücher zeigen. So nah am Unterhaltungskino aber will „Corroboree“, das Spielfilmdebüt des Australiers Ben Hackworth, gar nicht sein. Stattdessen bemüht sich der Filmemacher um reinste Kunst, fernab selbst vom Programmkino-Mainstream, was zunächst einmal ein interessantes Unterfangen ist.
Der unerfahrene junge Schauspieler Conor, gespielt vom unerfahrenen jungen Schauspieler Conor O’Hanlon, steigt in einen Bus und begibt sich zu einem seltsamen Engagement: Der an Aids erkrankte, homosexuelle Regisseur Joe liegt im Sterben und will unbedingt noch Schlüsselszenen seines Lebens inszenieren, um Freunden einen Abschied zu ermöglichen. Conor, der den Regisseur nicht persönlich kennt und ihn zunächst auch nicht kennen lernen soll, wird ihn verkörpern und muss sich unvorbereitet ins Geschehen stürzen. Auf dem Weg zur Spielstätte hört sich Conor per Kopfhörer erste Erklärungen seines Regisseurs an. Er solle sich dem Spiel völlig hingeben, sich darin verlieren und gerade dadurch Verständnis und wahres Mitgefühl für Joe entwickeln. Am Treffpunkt, einem verwinkelten Haus mit einem wilden, verwunschen wirkenden Garten, warten in verschiedenen Zimmern Regieanweisungen und fünf Schauspielerinnen, die Conor anleiten und ihm bei der Umsetzung der Szenen zur Seite stehen sollen. Sie verkörpern in diesem „Spiel des Lebens“ Frauen aus Joes Vergangenheit – und sind es gleichzeitig auch. Dass bei dieser Versuchsanordnung die Grenzen zwischen Spiel und Realität nicht wirklich deutlich verlaufen, liegt in der Natur der Sache.
Mit „Corroboree“ bezeichnen die Aborigines ein Fest, oft zum Zweck einer Initiation, das streng ritualisiert ist und somit festen Regeln und Abläufen folgt. Ben Hackworth feiert in seinem gleichnamigen Film ein Fest der Metareflexion. Ununterscheidbar montiert er unperfekte Probeaufnahmen und Szenen mit inszenierten Fehlern, die in beiden Fällen der Unerfahrenheit des jungen Schauspielers und dem experimentellen Charakter der Umsetzung geschuldet sind. Conor folgt bemüht allen Anweisungen und wird zu einer Art spielenden Spielfigur – eher wird mit ihm gespielt, als dass er selbst die Szene unter Kontrolle hätte. Joe ist derweil als Zeremonienmeister ständig anwesend, allerdings für Conor nicht zu erreichen. Heimlich beobachtet er das Geschehen, bleibt im Hintergrund und begutachtet die Aufnahmen. Das Spiel fordert viel von Conor, und er kommt seinen Kolleginnen näher, als er erwartet hätte. Die Atmosphäre entspannt sich langsam, und nach anfänglichen Schwierigkeiten wird auch mal ein Schlückchen getrunken, gefeiert und ausgelassen (und mit bitterer Note) gemeinsam „I Don’t Wanna Grow Up“ von Tom Waits gesungen.
Die rein inhaltliche Zusammenfassung wirkt recht beschwingt, ist aber trügerisch, denn Erzählkino findet hier nicht statt und soll es auch nicht. Der Zuschauer muss sich stattdessen mühsam erarbeiten, was genau gerade passiert, denn die Szenen bleiben kursorisch und vieldeutig. Selbst die experimentelle Ausgangssituation wird im Film nur umrissen und lässt sich ohne Begleittext nicht unbedingt nachvollziehen. „Corroboree“ hat einen starken Entwurfcharakter, der Film wirkt bewusst skizzenhaft und unfertig, weil er einen Schaffensprozess im freien Spiel und durch die vielen Ebenen und Selbstbespiegelungen letztlich das Spiel selbst ausstellt. Geschlossenheit ist deshalb seine Sache nicht, und wer eine Art Spannungsdramaturgie erwartet, eine Auflösung offener Fragen, klare Motivationen des Geschehens, wird unbefriedigt bleiben. Joes fiktive Lebensgeschichte und Hackworths künstlicher Inszenierstil sind als Tribut an den verstorbenen australischen Theaterregisseur Richard Wherrett gedacht, dessen Herangehensweise Hackworth „zwischen Camp und Künstlichkeit“ verortet. Dadurch, dass in „Corroboree“ auch Mitglieder von Wherretts Ensemble mitspielen, erlangt der Film eine weitere Bedeutungsebene.
Am Ende steht eine quasi klimaktische Szene, die motivisch arg abgegriffen ist und eine Theatralik entwickelt, die „Corroboree“ sonst nicht nötig hat. Immerhin lässt Hackworth die Möglichkeit offen, dass das, was man Conor da antut, doch nur ein makabrer Scherz der Schauspielerinnen ist. Sicher ist das – natürlich – nicht.
Hackworth will viel in seinem Debüt und macht seine Anliegen in der Form eigentlich auch recht deutlich. Seine Spielzüge sind aber nicht unbedingt neu und werden bei aller Bedeutungsschwere mit fortschreitender Dauer sogar langweilig. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, auch dem Visuellen statt strenger Statik ein bisschen mehr Verspieltheit und Ausgelassenheit zu gönnen, um sich einem wohlmeinenden Publikum ein wenig mehr zu öffnen. So bleibt das Fest letztlich eine doch sehr private Veranstaltung.