Wenn Auschwitz in Deutschland als leiser, kaum hörbarer Ton täglich vorhanden ist, wie der Regisseur Andres Veiel es einmal ausdrückte, dann existiert das KZ Mauthausen in der Kleinstadt Mauthausen, Oberösterreich, heute sowohl als Gedenkstätte als auch als unüberhörbare Kakophonie der Gleichzeitigkeit von Ignoranz und Erinnerungsarbeit.
Der Regisseur Rex Bloomstein stammt vom Cinema Verité. Das ist auch seinem Dokumentarfilm 'KZ' anzusehen, der völlig ohne Off-Kommentare, historische Filmaufnahmen, Fotografien oder Hintergrundsmusik auskommt. 'KZ' ist ein Film über die Gegenwart. Über die Gegenwart angesichts eines früheren KZs, in dem zwischen 1938 und 1945 von etwa 200 000 Menschen etwa 100 000 ermordet, das heißt, entweder programmatisch „durch Arbeit vernichtet“, durch menschenunwürdige Behandlungen (z.B. zynische medizinische „Versuche“) starben oder in einer Gaskammer vergast und in Öfen verbrannt wurden – vor Ort gedreht auf dem Gelände der Lageranlagen und nebenan, im befremdlich gemütlichen Mauthausen, wo sich in einem Lokal, das früher SS-Offiziersschänke war, die Folklore-Buam heute wie damals beim Glaserl Wein auf die Schenkel klopfen und dazu singen: „Die Moststub’n heroben beim KZ, die ist wirklich herrlich und nett…“
Drei Gruppen kommen in 'KZ' zu Worte: Bewohner von Mauthausen, Angestellte, die Führungen durch das Lager anbieten und Reisegruppen und Touristen, die sich über das KZ informieren wollen. Wo die einen versuchen, die Erinnerung wach zu halten, wie ein Angestellter, der in seinen über zehn Jahren Arbeit seine psychische Gesundheit verloren hat, von Psychopharmaka abhängig und Alkoholiker geworden ist, wie er offen erzählt, da verstehen die anderen ganz gut, dass die alten Mauthausener nicht mehr gerne über die Vergangenheit reden wollen. Da gibt es eine durch die Geschichte ungetrübte Verbundenheit mit dem Ort, ja, Heimat-Stolz, am frappierendsten verkörpert durch eine Frau, die erzählt, wie sie beim Besuch eines Mahnmals in Israel, beim Anblick des Schriftzugs „Mauthausen“ am liebsten freudig und laut ausgerufen hätte, dass sie selbst Mauthausenerin ist, nicht realisierend, warum ihr israelischer Reiseleiter sie daran hindern wollte.
Wo die einen detailliert von den unmenschlichen Qualen berichten, die den Lagerinsassen widerfuhren, da findet es ein junges Ehepaar überhaupt nicht ungemütlich, ein ehemaliges SS-Offiziers-Wohnhaus bezogen zu haben, denn „zur Arbeit“ sind die SS-Leute ja ins KZ gegangen, hier haben sie „doch nur gewohnt“.
Bloomsteins Absicht, zu zeigen, „wie die Vergangenheit in die Gegenwart eindringt, und schließlich auch in die Zukunft“, gelingt nachhaltig. Nicht zuletzt deshalb, weil er an einem Ort, an dem die Verdrängung und Verharmlosung der NS-Gräuel besonders gut zu funktionieren scheint – Österreich sieht sich, aufgrund des „Zwangsanschlusses ans Dritte Reich“ offenbar bis heute nur in der Opfer – nicht in einer Täterrolle -, er einfach die Vergangenheit sprechen lässt. Z.B. aus dem Mund eines jungen Zivildienstleistenden mit kahlgeschorenen Kopf, der einer Gruppe genau und nüchtern beschreibt, wie lange der Todeskampf in der Gaskammer gedauert hat. Aber auch die Reaktionen der Besucher auf die schonungslosen Berichte sind ambivalent. Ein Mädchen wird blass, sie fällt beinahe in Ohnmacht, eine Frau sagt, dass sie das alles „kein zweites Mal“ hören wolle, ein männlicher Besucher aber freut sich, dass das Lager so gut erhalten ist, und er möchte gleich im Anschluss eine Tournee zu allen übrigen ehemaligen KZs unternehmen. Und irgendjemand hat auf eine Gedenktafel in der Gaskammer ein Hakenkreuz geritzt.
'KZ – Willkommen in Mauthausen' zeigt auf erschreckende Weise, wie bedroht die Erinnerung an das Grauenhafte ist, selbst für die, die sich als geschichtsbewusst empfinden und bei denen sich doch schon stereotype Dritte-Reich-Klischees eingeschlichen haben, die die konkreten Ereignisse und Geschichten immer mehr verdrängen, zeigt anhand der Gesichter von Menschen, die sich ihr vorbehaltlos aussetzen (in der Vorgehensweise mit Claude Lanzmans Dokumentarfilm „Shoah“ vergleichbar), mit welch niederschmetternder Wucht die Vergangenheit hier und heute wirksam ist. Vielleicht tut sie es aber deshalb umso mehr, weil am gleichen Ort das Erschreckendste koexistiert: Menschen, die gerne hier leben, die nicht einmal wissen, woran sie sich hier stören könnten. Ein kultivierter Gedächtnisverlust, eine totale soziale Amnesie.